Freitag, März 29

Junges Forum Jena kritisiert Äußerungen Holger Beckers (SPD): »Trennung in „produktives“ und „unproduktives“ Kapital ist antisemitisches Gedankengut«

Bild: Kundgebung des HSK Bündnisses im Landgrafenviertel. Martin Michel / Libertad Media


In einem Bericht zur Kundgebung bezüglich des Haushaltssicherungskonzepts in Jena vom 28.01.2021, der in der OTZ erschien, äußert der SPD-Ortsteilbürgermeister und Unternehmer Holger Becker sich zu Deutschlands „produktive[m]“ Kapital, auf dem die deutsche Wirtschaft fuße. Becker, der sich selbst als Teil solchen „produktiven Kapitals“ darstellt, nennt diesem gegenüber einen „unproduktiven Teil des Kapitals“, welcher durch „Anteilseigner von Konzernen, die Dividende entziehen,“ genährt würde. Das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (JuFo) Jena verurteilt diese Äußerung aufs Schärfste. „Diese Unterscheidung fußt haargenau auf der Formel von ‚schaffendem und raffendem Kapital‘, welches die Nazis zur Begründung ihrer antisemitischen Agenda nutzten,“ erklärt Laura Kaden vom JuFo Jena. „Die Vorstellung vom unproduktiven Kapital, welches vom ehrlich-schaffenden Kapital gefüttert werden würde, entspricht dem judenfeindlichen Vorurteil des untätigen Nutznießers. Es wird genutzt, um Sündenböcke für wirtschaftliche Krisen auszumachen und sich selbst eine weiße Weste zu verpassen.“ Von der SPD erwartet das Junge Forum Jena eine klare Distanzierung von der Aussage Beckers, für antisemitische Ressentiments darf es keine Toleranz geben. Es ist alarmierend, wenn in Zeiten zunehmender antisemitischer Vorfälle in der Bundesrepublik solche Formulierungen unwidersprochen Verbreitung finden.

Pressemeldung des Jungen Forums Jena

Anmerkung der Redaktion: Holger Becker hat auf den Vorwurf geantwortet. Er verteidigte seine Aussage mit dem Verweis auf die unterschiedliche Besteuerung von Dividenden und Arbeitseinkommen, die einen Faktor in der sozialen Ungleichheit in Deutschland darstelle. Seine Stellungnahme ist in der Kommentarspalte im Wortlaut nachzulesen; wir haben die Email-Adresse mit der auf der Ortsverbandsseite abgeglichen.

6 Comments

  • Holger Becker

    Ich hatte als direkt angesprochene Person heute Mittag (3.2.2021) meine Antwort an das Junge Forum als Kommentar gepostet. Darf ich fragen, warum dieser Kommentar nicht veröffentlicht wird?
    Mit freundlichen Grüßen
    Holger Becker

    und hier nochmal meine Antwort:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    aufgrund des Zeitungsberichtes in der OTZ über die Demonstration in der Schillbachstraße unter dem Motto „Haushaltssicherungskonzept – so nicht“ werfen Sie mir antisemitisches Gedankengut vor.
    Der Hintergrund der Diskussion mit OTZ-Redakteur Thomas Stridde war die der Demonstration zugrunde liegende Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, die ja gerade durch die Wahl des Demonstrationsortes plakativ aufgeworfen werden sollte. In der politischen Diskussion stellt sich nun tatsächlich die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, die zunehmende Kluft zwischen den Vermögensextremen in unserer Gesellschaft zu verkleinern. Und eine der sich dabei stellenden Fragen ist die, warum in Deutschland Dividenden anders (geringer, nämlich mit 25%) besteuert werden als Arbeitseinkommen (Spitzensteuersatz 42%). Dies war der volkswirtschaftliche Hintergrund meiner Aussagen. Diese Differenz ist ein signifikanter Treiber sozialer Ungleichheit und es ist mir nicht einsichtig, warum das nicht thematisiert werden darf.
    Ich bin gerne jederzeit mit Ihnen persönlich in einer Veranstaltung dieses Thema zu diskutieren, Sie können mich dazu auch gerne telefonisch oder per Mail (hb@microfluidic-chipshop.com) kontaktieren.
    Ich finde es allerdings problematisch, mir ohne jede Kenntnis meiner Person oder meines politischen Werdegangs oder Handelns „antisemitisches Gedankengut“ vorzuwerfen. Auf der Homepage des Jungen Forums (https://www.deutsch-israelische-gesellschaft.de/junges-forum/?cli_action=1612352953.568) steht: „Unser Anliegen ist es, wichtige Fragen und mögliche, differenzierte Antworten an die Öffentlichkeit zu tragen“. Ich überlasse es Ihrer Reflexion, ob Sie diesem Anspruch mit Ihrer Pressemitteilung entsprochen haben. Ich unterstütze hingegen voll und ganz Ihren Anspruch „Vor dem Hintergrund der Shoah und der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüdinnen_Juden durch Deutsche sind wir der Verantwortung für die Vergangenheit verpflichtet“.

    Mit freundlichen Grüßen

    • Es handelt sich hier nur um die Pressemitteilung des Jungen Forums, nicht um einen eigens verfassten Artikel unserer Redaktion. Wären wir rechtzeitig auf Ihre Stellungnahme aufmerksam geworden, hätten wir beides in einem Artikel zusammengefasst. Unser Fehler. Die Email-Adresse redaktion@libertad-media.de können Sie gerne in den Presseverteiler des SPD-Ortsverbandes aufnehmen, damit das nicht wieder vorkommt. Ich werde einen Verweis auf Ihren Kommentar in den Artikel einbauen.

    • JuFo Jena

      Wir hatten Herrn Becker bereits auf seine Mail geantwortet. Leider haben wir nie eine Antwort erhalten. Hier veröffentlichen wir unsere Reaktion:

      „Da unsere Pressmitteilung bei Ihnen offenbar auf Unverständnis stoß, halten wir es für notwendig, noch mal einige Dinge klarzustellen:

      Es geht uns nicht darum, Holger Becker einen Antisemiten zu nennen, sondern vielmehr darum, darauf aufmerksam zu machen, dass bestimmten Vorstellungen von Moderne und Ökonomie Denkfiguren zugrunde liegen, die aus einem tradierten Motiv-Repertoire stammen und in ihrer Struktur antisemitisch sind.

      Der Clou dieses sogenannten strukturellen Antisemitismus ist es, dass er ohne den direkten Bezug auf reale Jüdinnen_Juden auskommt. Auch ist niemand durch eine politische Biografie o.ä. davor gefeit.

      Unsere Kritik gilt explizit nicht der Forderung nach Umverteilung, sondern, wie auch die Pressemitteilung klar herausstellt, der konkreten Begrifflichkeit von produktivem und unproduktivem Kapital. Die Unterscheidung von Kapitalformen ist der Kern einer antisemitischen Wirtschafts- und Gesellschaftsanalyse, wie sie unter anderem durch Gottfried Feders unter der Parole „Brechung der Zinsknechtschaft“ in die Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus einzog oder auch in Teilen linker Kapitalismuskritik zu finden ist.

      Der Theoretiker Moishe Postone schreibt dazu in seiner Analyse zum Kapitalfetisch:
      „Mit der Durchsetzung der Kapitalform verlor das mechanische Weltbild des 17. und 18. Jahrhunderts an Bedeutung; mehr und mehr übernahmen organische Prozesse an Stelle statischer Mechanik die Form des Fetischs. Das drückt sich zum Beispiel in der Verbreitung solcher Denkformen aus wie der Lehre vom Staat als lebendigem Organismus, aber auch in den Rassentheorien und der zunehmenden Bedeutung des Sozialdarwinismus im späten 19. Jahrhundert. Gesellschaft wie historischer Prozeß werden zunehmend biologisch begriffen. Diesen Aspekt des Kapitalfetischs will ich jedoch hier nicht weiter verfolgen. Festzuhalten ist, welche Wahrnehmungsweisen von Kapital sich daraus ergeben. Wie angedeutet, läßt der ‘Doppelcharakter’ auf der logischen Ebene der Warenanalyse die Arbeit als ontologische Betätigungsweise erscheinen und nicht als eine Tätigkeit, die materiell von den gesellschaftlichen Beziehungen geformt wird; er stellt die Ware als rein stoffliches Ding dar und nicht als Vergegenständlichung vermittelter gesellschaftlicher Beziehungen. Auf der logischen Ebene des Kapitals läßt der ‘Doppelcharakter’ (Arbeits-und Verwertungsprozeß) industrielle Produktion als ausschließlich materiellen schöpferischen Prozeß, ablösbar vom Kapital, erscheinen. Die manifeste Form des Konkreten ist nun organischer. So kann das industrielle Kapital als direkter Nachfolger ‘natürlicher’ handwerklicher Arbeit auftreten und, im Gegensatz zum ‘parasitären’ Finanzkapital, als ‘organisch’ verwurzelt. Seine Organisation scheint der Zunft verwandt zu sein; der gesellschaftliche Zusammenhang, in dem es sich befindet, wird als eine übergeordnete organische Einheit gefaßt: Gemeinschaft, Volk, Rasse. Kapital selbst – oder das, was als negativer Aspekt des Kapitalismus verstanden wird – wird lediglich in der Erscheinungsform seiner abstrakten Dimension verstanden: als Finanz- und zinstragendes Kapital.“
      (www.ca-ira.net/verlag/leseproben/postone-deutschland_lp/)

      Die Trennung selbst zwischen gesundem, schaffenden, ‚das Volk nährenden‘ Kapital, woran Sie meinen teilzuhaben, und einem parasitären, nicht produktiven Finanz-Kapital ist die problematische Ideologie.

      Gerade in Krisenzeiten, in denen solche plakativen Vorstellungen dankbare Abnehmer_innen finden, halten wir es für wichtig, ein Bewusstsein für die Versatzstücke von antisemitischen Erzählungen zu entwickeln bzw. dieses zu schärfen.

      Wir hoffen, einige Unklarheiten hiermit aufgeklärt haben zu können.
      Sollten Sie weitere Fragen zu der Thematik haben, wenden Sie sich gerne an uns.

      Mit freundlichen Grüßen
      das Junge Forum Jena

  • Steff

    In einem Bericht über Nachbarschaftshilfe in der Coronapandemie vom 17.03.2020, der in der TLZ erschien, äußert sich Laura Kaden vom Jugen Forum Jena zu „dem Trend von Hamsterkauf und individueller Abschottung“ dem man „in Zeiten der Corona-Krise entgegenwirken müssen“. Ich verurteile diese Äußerung aufs Schärfste. Denn die Verwendung des Begriffs „Hamsterkauf“ auf die Kritik an einem solchen, vermeintlich unsolidarischen, Verhaltens fußt auf Propagandamaterial des Nazi-Regimes (Google: „Hamsterin, schäme dich). Die Vorstellung eines Nagetiers, welches Waren über den eigenen Bedarf hinaus und damit auf Kosten Anderer erwirbt, ist mit klar antisemitischen Stereotypen gezeichnet. Ich erwarte daher von Frau Kaden und vom Jugen Forum Jena eine klare Distanzierung von der Aussage Kadens, für antisemitische Ressentiments darf es keine Toleranz geben. Es ist alarmierend, wenn in Zeiten zunehmender antisemitischer Vorfälle in der Bundesrepublik solche Formulierungen unwidersprochen Verbreitung finden.

  • karlvale

    @Steff, ich finde es schade, dass du so viel Zeit investiert hast, um hier eine falsche Gleichsetzung zusammenzubasteln und nur die Kritik vom Jungen Forum delegitimieren soll. Eine falsche Gleichsetzung, weil ein von den Nazis verwendeter Begriff mit antisemitischen Assoziationen nicht das Gleiche ist wie ein etablierter Bestandteil antisemitischer Ideologie und Theorie im Dritten Reich.
    Es ist sinnvoller, sich wie Holger Becker einer Kritik anzunehmen und zu stellen (vielleicht auch noch etwas weiter als er), als die Kritisierenden verächtlich zu machen.

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