Samstag, April 20

Kommentar: Versammeln muss (wieder) umfassend erlaubt sein

Polizist steht vor einer eingekesselten Versammlung in Berlin (4.12.21). Foto: Martin Michel / Libertad Media

Ein Kommentar von Martin Michel zur Wiederherstellung des Versammlungsrechtes

Im Zuge der Coronapandemie wurde das Recht auf politische Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Dieses für eine Demokratie grundlegende Recht ist, aus wenig nachvollziehbaren Gründen, restriktiver behandelt worden als andere Bereiche des öffentlichen Lebens – es ist zu einem Schatten seiner selbst verkommen.

In Thüringen müssen Demonstrationen in jeden Fall angezeigt werden. Eil-Proteste, wie nach der Wahl des Ministerpräsidenten durch AFD, CDU und FDP im Jahr 2020, sind untersagt. Bis letzte Woche waren Kundgebungen mit mehr als 35 Teilnehmenden untersagt. Demonstrationen, die sich bewegen, sind untersagt. Dies ist einer Demokratie unwürdig. Auch wenn oft nur wenige Bürger*innen vom Demonstrationsrecht Gebrauch machen, ist dieses „konstituierend für eine demokratische Staatsordnung“, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt ausführt.

Ja, es war richtig, im März 2020 in einer ersten Reaktion alle Versammlungen zu verbieten. Vieles war unklar, wenig Konkretes über den neuen Virus bekannt. Genauso richtig war es, dass in Jena 50 linke Aktivist*innen eben jenes Demonstrationsverbot einen Monat später durchbrachen: Sie demonstrierten mit Abstand und Masken in der Innenstadt und auf der Rasenmühleninsel.

Viel wurde über das Virus in der Zwischenzeit gelernt: Im Freien gibt es wenige Ansteckungen, das Risiko reduziert sich bei korrekt getragenen Masken auf fast null. Es ist nicht vermittelbar, dass man sich mit 50 Menschen ohne Masken in ein Restaurant setzen, aber nicht mit 50 Menschen im Freien und mit guten Hygienemaßnahmen versammeln darf. Und nein: 2G in Gasträumen ist kein Argument, selbst Geboosterte haben ein Risiko von (je nach Impfstoffkombination und Abstand zum Booster) mindestens 25 % auf Infektionen, FFP2-Masken senken das Infektionsrisiko aber um den Faktor 1000, wenn von beiden Personen korrekt getragen.

Tragen sowohl die infizierte als auch die nicht-infizierte Person gut sitzende FFP2-Masken, beträgt das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten selbst auf kürzeste Distanz kaum mehr als ein Promille.

Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen

Der Staat ist offensichtlich sowieso nicht in der Lage, die erlassene Regel durchzusetzen, wenn man die montäglichen Demonstrationen der Maßnahmenkritiker*innen betrachtet. Dort gehen Tausende allwöchentlich protestieren, zunehmend stellen sich ihnen auch zivilgesellschaftliche Gruppen entgegen. Die Jenaer Stadtverwaltung räumte jüngst in einer Stadtratsanfrage ein, „den Auflösungsverfügungen [stünden] häufig zu wenige Einsatzkräfte der Vollzugspolizei gegenüber, die diese […] auch tatsächlich umzusetzen in der Lage sind“. Kein Argument gegen Einschränkungen, aber ein gutes Argument sich auf Hygienemaßnahmen zu konzentrieren, statt auf generelle Demonstrationsverbote.

Deshalb: Versammlungsrecht sofort komplett wiederherstellen. Spontane und Eil-Versammlungen wieder umfänglich zulassen! Demonstrationszüge wieder zulassen! Wer demonstriert, muss aber eine FFP2-Maske tragen; wer dies nicht tut, muss eben die Ordnungsstrafe zahlen. Dies muss aber auch verfolgt werden.

Dann hat auch die Zivilgesellschaft wieder Freiraum, gegen Maßnahmengegner*innen auf die Straße zu gehen, aber auch diese können nicht mehr beklagen, sich nicht versammeln zu dürfen. Also Maske auf und Meinung kundtun!

(MM)

1 Comment

  • Grosser, Klaus

    Die Covid-Saga wird ziemlich eindeutig dazu benutzt, individuelle Freiheiten und demokratische Rechte einzuschränken.
    Konsistent legalisiert und über lange Zeiträume sind diese Einschränkungen auch stückweise ein Schlag gegen die universellen Menschenrechte.
    Das Problem in der legalistischen Herangehensweise an das Covid-Geschehen besteht darin, dass Einschränkungen selten später wieder (vollständig) zurückgenommen werden.
    Gleichzeitig hat sich auch fast der gesamte öffentliche Raum ‚verabsolutiert‘‘; wenn die Maske schief sitzt, tritt selbst der Parkwächter bereits auf wie eine Militärpolizei. Eine öffentliche Gängelei, die unter den Vorwänden von Sicherheit und Gesundheit sicher weiter expandieren kann.
    In allen Ländern wird das Covid-Thema mittlerweile als leicht aktivierbares verstecktes Handeln gegen politische Opponenten instrumentalisiert.
    Das sollten die Linken erkennen, viele tun das auch, und politisch darauf, antworten; im öffentlichen Raum, falls notwendig.
    Es ist verständlich, dass man dies nicht mit erklärten Nazis tun will. Dann muss man sich eben etwas anderes Besseres einfallen lassen.
    Die allgemeine (vor allem auch internationale) Datenlage ist keinesfalls so, dass man hier vorbehaltlos das gegenwärtige staatliche Vorgehen unterstützen kann.
    Schweigen und ‚Akzeptanz des Unvermeidlichen‘ sind jedenfalls nicht der richtige Weg.
    Die Covid-Saga zeigt uns ganz klar wichtige Schwachpunkte im System, die im Sinne von‚ DIsaster Risk Reduction‘ beseitigt werden müssen, auch als Orientierung zur Anpassung an den Klimawechsel.
    Nachsatz: Man kann sich trotzdem noch impfen lassen, vielleicht einfach nur, um den Nachbarn oder die Freundin zufriedenzustellen, das ist ja auch was wert und muss diesen Akt nicht zu einer zukunftsentscheidenden, hochpolitischen Sache stilisieren.

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