Dienstag, März 19

»Spuren der Arbeit«: Organisierung als Selbstorganisierung

Symbolbild: Maarten van den Heuvel/Unsplash

Jena. Am Freitagabend fand im Lobedaer Ortstreff Emils Ecke eine Buchvorstellung der International Workers of the World (IWW) statt, die das örtliche Frauenstreikbündnis organisiert hatte. Die IWW – auch „Wobblies“ genannt – sind eine Basisgewerkschaft, die Arbeitskämpfe vor allem in den USA und Kanada organisiert und prägend für die anarchistische Bewegung in Nordamerika war. Ein wichtiger Teil ist dabei die klassenkämpferische Grundhaltung – so auch im Buch Spuren der Arbeit, das Geschichten aus dem Alltag von Arbeiter*innen versammelt. Zwei Referenten des deutschen Ablegers der Gewerkschaft haben daraus vorgelesen.

Das Buch wurde zu einem Großteil aus dem Englischen übersetzt und geht auf eine Publikation der IWW von 2013 zurück, die Beiträge aus einem linksradikalen Blogprojekt namens „Recomposition“ zusammentrug. Für die nun in Deutschland erschienene Ausgabe sind ein paar deutsche Originalbeiträge hinzugekommen, die in Schreibwerkstätten entstanden. Im Leitthema „Recomposition“ kündigt sich zweierlei an: einerseits die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in der Gig Economy, die von Prekarisierung und Sozialabbau gekennzeichnet ist, andererseits die erneuten Versuche einer Selbstfindung dieser Klasse. „Organizing“ heißt die Losung der Stunde, das bedeutet einerseits die aktive Einbindung der Arbeiter*innen in den Arbeitskampf, andererseits das kollektive und koordinierte Überwinden gewiefter Methoden der Spaltung und des Streikbrechens, die das Kapital auffährt. Die Herrschaftstechniken aus Nordamerika haben längst ihren Weg über den Atlantik gefunden. Die anarchistische Gewerkschaftsbewegung antwortet darauf mit einem altbewährten Konzept, der direkten Aktion.

Die Geschichten, die in Spuren der Arbeit erzählt werden, sind also Mittel zum Zweck, politisches Werkzeug, aber es handelt sich nicht um Anleitungen oder Pamphlete. Der Ton ist subjektiv, er will tief blicken lassen – in den Arbeitsprozess, die Auflehnung, das Scheitern und die kleinen Erfolge der Belegschaft. Das Publikum am Freitagabend bewegt sich beim Zuhören durch die verpestete Luft einer Fabrik der Luftfahrtindustrie, es sitzt an der Kasse, im Call Center und erlebt einen Streik beim kanadischen Postamt. Auch von Frustration mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, die von einem übergriffigen Manager ausgeht, ist in einem Beitrag die Rede.

Die monotonen Abläufe des Arbeitsalltags, die Erschöpfung und nicht zuletzt das im Hinterkopf aufpochende Bewusstsein, es könne doch alles so anders laufen, sickern selbst in die Träume der Arbeiter*innen ein. Das Schreiben ist für sich schon ein Akt der Auflehnung, so begrenzt seine Wirkung in der Welt da draußen wohl immer bleibt: „Wir müssen verstehen, was unsere Klasse ist, was wir erleben und was uns umtreibt,“ resümiert der Gewerkschafter, der mit den Texten gerade durch Deutschland und die Schweiz tourt, auf seinem Zwischenstopp in Lobeda.

Mark Richter, Levke Asyr, Ada Amhang, Scott Nikolas Nappalos (Hrsg.): Spuren der Arbeit – Geschichten von Jobs und Widerstand. Die Buchmacherei 2021, 260 Seiten. 14 Euro. ISBN 978-3-9823317-1-3.

2 Comments

  • Grosser, Klaus

    Schoneinmal „Emils Ecke“ als Ortstreff von Lobeda zu bezeichnen, zeigt schon einmal die mangelnden Kenntnisse des Autors, im Text geht es auch dann lediglich um eine Buchrezension, über mehr konnte man auch nicht berichten, was an diesem Abend bei den wenigen Zuhöern kein Wunder war, eine Veranstaltung muss man eben auch bewerben.

  • FW Helms

    Die Übersetzung des Buches „Lines of Work – Stories of Jobs and Resistance” (2013 im kanadischen Verlag Black Cat Press erschienen) ist eine großartige Leistung. Allerdings hätte man es bei der Übersetzung belassen und „Spuren der Arbeit“ nicht mit Geschichtchen à la „Wir müssen leider unsere Sachen holen“ (S. 78) eines gewissen Mark Richter „veredeln“ sollen. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen. Daß jener Mark Richter versucht, sich damit auch noch selbst zum Klassenkämpfer zu stilisieren, ist eine Verhöhnung aller wirklich revolutionären und klassenkämpferischen Gewerkschafter, von denen viele nicht nur in der Geschichte der IWW ihr Leben gegeben haben, sondern bis in die heutige Zeit. Es sei nur an den Tod von Adil Belakhdim, Mitglied der italienischen Gewerkschaftskoordination SI Cobas, während eines Streiks im Juni 2021 erinnert. Klassenkampf ist auch heute brutal und bedeutet im ungünstigsten Falle, persönliche Entbehrungen und Opfer auf sich zu nehmen. Ich plädiere nicht dafür, Märtyrer zu schaffen, aber wer im gegenwärtigen Deutschland nicht einmal den Mut hat, unter seinem richtigen Namen zu publizieren, sollte von Klassenkampf schweigen.

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