Samstag, April 20

Stadtrat will Überleben der Jenaer Kulturszene sichern

Fehlende Einnahmen aus Konzerten und anderen Events bedrohen die Kulturbranche während der Coronakrise mit wachsenden Mietlasten. Foto: Matthias Wagner/Unsplash

Jena. Am Mittwoch beriet der Stadtrat Jena über Unterstützungsmaßnahmen für die lokale Kultur. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und LINKE hatten einen Antrag an den Oberbürgermeister eingereicht, der die finanzielle Absicherung der von der Coronakrise gebeutelten Kulturszene Jenas vorsieht. Der Beschluss wurde nach einem Änderungsantrag der FDP-Fraktion, die Maßnahmen vorerst „zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen“, ohne Gegenstimmen angenommen.

Gemäß dem Antrag soll die Stadt im Bedarfsfall Mieten und Pachten für maximal ein halbes Jahr erlassen, die an den städtischen Eigenbetrieb JenaKultur gezahlt werden müssen. Für Kulturbetriebe, die privat mieten, kann die Stadt auf Antrag eine Bürgschaft übernehmen, wenn keine anderweitigen Fördermittel zur Existenzsicherung vorliegen. Außerdem können Fördermittel der Stadt für Veranstaltungen, die wegen der Coronakrise verschoben werden mussten, in das Jahr 2021 mitgenommen werden. Der Oberbürgermeister und JenaKultur sind angehalten, Betroffenen bei der konkreten Unterstützung und der Verteilung von Bundes- und Landesgeldern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, gegebenenfalls wird es aus übrigen Geldern ein kommunales Hilfsprogramm geben. Der Beschluss besagt zudem ohne den Vorbehalt einer Prüfung, dass kulturelle Bildungsangebote mit hygienischen Schutzmaßnahmen schrittweise wiederaufgenommen werden.

Matias Mieth von den Grünen bekräftigte in seiner Eingangsrede, Kulturangebote seien „kein Luxus“, sie seien „systemrelevant“. Er gab zu bedenken, dass „Kultur auch ein Markt“ sei und begründete damit das Vorhaben der rot-rot-grünen Fraktionen, für finanzielle Abhilfe zu sorgen. In der schriftlichen Begründung hatte es geheißen, das „Überleben“ vieler kultureller Betriebe stehe auf dem Spiel. Jürgen Häkanson-Hall von der Wähler*inneninitiative Bürger für Jena verlangte für den Finanzausschuss, die Möglichkeit einer Stundung der Mieten an JenaKultur mit in den Antrag aufzunehmen, da in Anbetracht der schlechten Haushaltslage ein Erlass nur im äußersten Fall infrage käme. Dem stimmten Abgeordnete aus den Fraktionen CDU und FDP zu. Stefan Beyer von der FDP versicherte, dass auch bei einer Stundungslösung eine ernste Gefährdung durch Mietschulden nicht vorkommen werde. Im Übrigen sei der finanzielle Aufwand der Stadt zur Unterstützung der von JenaKultur unabhängigen Angebote noch nicht abzusehen, hieß es aus der CDU-Fraktion.

Im Fokus der Debatte stand ein Schreiben des Blasmusikvereins Carl Zeiss Jena e.V. an die Vorsitzenden aller Fraktionen, das Libertad Media vorliegt. Darin richtet dessen Vorsitzender Ulrich Richter eine „dringende Bitte“ um einen „Rettungsschirm kulturell Tätiger“ an die Stadträt*innen, insbesondere auch für Einrichtungen, die sonst keine Fördergelder erhalten. Für seinen Verein beklagt Richter eine „Finanzierungslücke“ von mehreren 10.000€ aufgrund weggefallener Einnahmen bei Veranstaltungen und pädagogischen Angeboten, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt oder bis mindestens September verschoben werden mussten. Das Angebot des Blasmusikvereins umfasst im kulturellen Normalbetrieb unter anderem eine mobile Musikwerkstatt, eine Orchesterschule, Brass-Bands für diverse Altersgruppen, ein Blechbläser-Seminar, zahlreiche Konzerte und Weihnachtsveranstaltungen und ein internationales Sommercamp.

Obwohl Richter in seinem Brief um einen Erlass des Mietzinses gebeten und vor einer Stundung der Mieten, wie im Antrag des Finanzausschusses vorgesehen, ausdrücklich gewarnt hatte, behauptete Bastian Stein (CDU) in der gestrigen Debatte, das Anliegen des Blasmusikvereins sei auch mit einer Stundungsregelung noch vereinbar, um die Notwendigkeit eines Zahlungserlasses auszuloten, nachdem Hilfen ausgezahlt wurden. Jörg Vogel (SPD) verteidigte die Bitte Richters und stellte klar, es handle sich bei dem Antrag ohnehin um „keinen Freibrief“ für finanzielle Hilfe, da er nur „in begründeten Fällen“ gelte. In der Abstimmung wurde der Antrag des Finanzausschusses, der nur in besonderen Fällen einen Zahlungserlass vorsieht, mit nur einer Stimme Mehrheit abgelehnt.

Oliver Schubert, Geschäftsführer des Café Wagner, ist einer der Betroffenen im Kultur- und Gastronomiebetrieb. Nachdem das Café, das sonst über ein breit aufgestelltes studentisches Kulturprogramm verfügt, zu Beginn der Coronamaßnahmen Kurzarbeit angemeldet und Soforthilfen beantragt hatte, gelang es dem Betrieb, die Krise wirtschaftlich „aushaltbar“ zu machen, so Schubert. Für einige Beschäftigte und Vereinsmitglieder fielen allerdings zahlreiche Aufgaben weg und der „menschliche Zugang“ sei mit der kurzfristigen Einstampfung des Kulturangebots verloren gegangen. Er sieht vor allem freischaffende Künstler*innen bedroht und meint, leider „macht es wirtschaftlich wenig Sinn“ bei stark reduziertem Publikum neue Termine für Veranstaltungen zu vereinbaren. Seine Hoffnung setzt er deshalb in den Außenbetrieb, wofür mehr Besucher*innen eingeladen werden könnten.

Schubert habe den Fortbestand des Cafés dadurch vorerst „gesichtert“, dass er mit dem Studierendenwerk eine Stundung der anstehenden Mieten vereinbaren konnte. Den Antrag des Stadtrates hält er für einen „guten Ansatz“, es komme aber auf das Kleingedruckte an, ob er sich für Hilfen qualifizieren könne. Es sei also erst einmal abzuwarten, welche Kriterien für den Bedarfsfall erarbeitet werden. Dass die FDP-Fraktion eine Änderung mit Blick auf den kommunalen Haushalt durchsetzte, findet er „verständlich“.

(pj)

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, ein Mieterlass sei laut Antrag für maximal ein Jahr möglich und Bastian Stein habe eine Stundung im Falle des Blasorchestervereins für ausreichend empfunden. Die Fehler sind inzwischen korrigiert und Ungenauigkeiten in der Formulierung zum Änderungsantrag des Finanzausschusses behoben worden.

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