Jena. Das bundesweite Recht-auf-Stadt-Forum mit Aktivist*innen wohnungs- und stadtpolitischer Bewegungen fand am vergangenen Wochenende im Kassablanca statt. Zahlreiche Gäste und multimediale Beiträge schmückten das dreitägige Programm, gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Am Samstag gab es eine Diskussion zur klimapolitischen Tragfähigkeit des Recht-auf-Stadt-Aktivismus, die Widersprüche und ungelöste Fragen zwischen Umwelt- und Wohnungskrise aufzeigte.
Im großen Saal des Kulturzentrums Kassablanca hatte sich am Samstagvormittag ein Panel verschiedener Aktivist*innen aus dem wohnungs- und umweltpolitischen Kontext zusammengefunden. Da sich die Veranstalter*innen aber ein offenes Format wünschten, war kurzerhand ein Stuhlkreis aus den Publikumsreihen gebildet worden. Der sperrige Titel der Veranstaltung veranschaulichte die Konfliktträchtigkeit des Themas: „There is no bezahlbarer Wohnraum on a dead planet!“ Oder noch etwas ausführlicher: Die Forderungen finanziell überlasteter Mieter*innen dürfen der dringend notwendigen Umrüstung von Immobilien und Baugewerbe zum Erhalt der Biosphäre nicht entgegenstehen.
Das Dilemma ist schnell ausfindig gemacht: Die Kosten für energetische Modernisierung etwa bei der Dämmung wird nach aktueller Rechtslage auf die Miete umgelagert, dient sogar häufig als Vorwand für eine Mietsteigerung. Eine solche Mieterhöhung erübrigt sich auch nicht einfach, wenn die Kosten abbezahlt sind. Die Wohnung bleibt dauerhaft teurer, es steckt also ein Riesenpotenzial für die Gewinnmaximierung darin. Häufig sind Mieter*innen also gezwungen, sich gegen die ökologische Umrüstung zu wehren. Und auch bei der Bekämpfung des Wohnraummangels leidet das langfristige Ziel der Klimaneutralität: Der Bausektor ist ein notorischer Klimakiller und sorgt darüber hinaus für mehr Flächenversiegelung.
Privilegierte Stichwortgeber
Wie ist es aber um die stadtpolitischen Vorstellungen der Umweltbewegten bestellt? Der Programmteaser für die Diskussion spart hier nicht an Kritik:
Orientiert sich eine städtische Verkehrswende an den Bedürfnissen einer privilegierten, urbanen Mittelschicht, deren Vormieter:innen auch noch unfreiwillig an den Stadtrand ziehen mussten?
Was bedeutet es also, eine Stadt nach den Bedürfnisse der Mehrheit einzurichten, ohne dabei die Natur außen vor zu lassen? So schwer dürfte die Vereinigung von Klima- und Mietaktivismus doch nicht zu machen sein. So meint eine Stimme aus dem Publikum: „Wohnen Klimaaktivisten nicht zur Miete?“
Klima und das Recht auf Stadt – ein „konstruierter Widerspruch“?
Der Moderator und Berliner Mietenaktivist Felix gibt sich optimistisch. Den Ende letzten Jahres von Obdachlosen besetzten Leerstand in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte zitiert er als gelungenes Beispiel eines sozial gerechten und zugleich ökologischen Aktivismus. Teurer und umweltschädlicher Neubau kann mithilfe solcher Besetzungen vermieden werden – solange sie Aussicht auf legalen Status haben. Der zum Panel geladene Radaktivist Martin Krämer aus Bochum hält den Widerspruch deshalb für „in vielen Punkten konstruiert“. Er wendet sich entschieden gegen die Vorstellung von Stadtentwickler*innen, „ökologischer Mehrwert“ werde durch den Neubau hocheffizienter Gebäude geschaffen.
Die Klima- und Stadtaktivistin Hannah Niemand sträubt sich gegen das Klischee einer von Mittelschichtsbedürfnissen bestimmten Klimabewegung. Sie sieht in benachteiligten Vierteln den größten Bedarf an sozial-ökologischen Interventionen, etwa bei der Verkehrswende hin zu einem erschwinglichen ÖPNV. „Man muss nicht alles übernehmen,“ was den Verfechter*innen der Verkehrswende vorschwebt, räumt sie ein, aber es bleibe für sie „Vorbildpolitik“.
Der Weimarer Stadtrat und Degrowth-Aktivist Anton Brokow-Loga und der Jenaer Klimaaktivist Robert diagnostizieren einen Systemfehler im Konflikt zwischen Klima und Sozialem. Für Brokow-Loga geht es vor allem um eins: Teilhabe. Eine Stadt für alle lebenswert zu machen, verlangt ihm zufolge nach Umweltgerechtigkeit, also gleicher Teilhabe auch an der natürlichen Umwelt.
Fakt ist aber, so wenden Einzelne aus dem Publikum ein: Der ökologische Wandel wird mehrheitlich eben nicht als neues Wohlstandsversprechen, sondern als Bedrohung wahrgenommen. „Postwachstum“ bedeutet vielen noch mehr Verzicht und Einschränkung als im Alltag ohnehin schon an der Tagesordnung stehen. Ein Diskussionsteilnehmer erinnert sich an einen eingängigen Slogan der IG Metall, „Der Transformation mit Stärke begegnen,“ der den Interessenskonflikt einiger Lohnabhängiger in seiner Zuspitzung veranschaulicht. Was also tun?
Die Runde ist nicht davon überzeugt, dass es mit einer „anderen Erzählung“, wie zurzeit in so gut wie jeder linken Debatte gefordert, letztlich getan ist. Es handele sich um einen „ganz manifest institutionalisierten Widerspruch,“ meint eine Teilnehmerin, das Dilemma bei der Mietpreisspirale zeige das ganz klar. „Genau da müssen wir ran.“ Auch der Vorwurf einer sozial ignoranten grünen Politik (bzw. Grünen-Politik) ist keineswegs aus der Luft gegriffen, heißt es aus einer anderen Richtung, wenn Parkplätze zur Flächenbegrünung gestrichen werden, ohne dass Maßnahmen ergriffen werden, um Menschen weniger abhängig von ihrem Auto zu machen.
Vergesellschaftung: Ein Kristallisationspunkt für die Bewegungslinke?
Die Berliner Aktivistin Marina Mironica, die sich bei der Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ engagiert, wirbt in der Diskussion für Vergesellschaftungskampagnen. Ihr geht es vor allem darum, Entscheidungen den privaten Eigentümer*innen abzunehmen. Zwar ist die Umweltfrage damit nicht beantwortet, wie im weiteren Verlauf der Debatte schnell klar wird, denn auch bestehende Wohngenossenschaften sind hier nicht zwingend Vorreiter. Aber der Grundgedanke überzeugt: Für eine Politik des Gemeinwohls lassen sich erst vernünftige Entscheidungen treffen, wenn diejenigen, die über kein „passives Einkommen“ verfügen, überhaupt Entscheidungsgewalt über ihre Lage haben. Die Relevanz der Eigentumsfrage für das Klima dürfte den Umweltaktivist*innen auch kein Geheimnis mehr sein. Nur wo bleibt deren Aufbegehren gegen die Verteuerung von Mieten und Lebensmitteln?
Genossenschaftlicher Mieterstrom mithilfe von Dach-Solaranlagen ist bei der Vielzahl von Kleinvermieter*innen in Deutschland wohl kein verallgemeinerbares Ziel, das Genossenschaftsprinzip aber ein wichtiges Modell zur langfristigen Vergünstigung von Wohnkosten. Nur wie die kleinen Vermieter*innen gesellschaftlich in die Pflicht nehmen? Ein weiterer Neuzugang für den üppigen sozial-ökologischen Fragenkatalog.
In Anbetracht der sich verschärfenden Klimakrise und der Explosion von Lebenshaltungskosten möchte man Klimaaktivist Robert beipflichten: „Der soziale Sprengstoff ist da.“ Als Resümee ist das aber ungenügend. Von einer gemeinsamen Strategie bleiben die Recht-auf-Stadt-Bewegung und die Generation Klima weit entfernt. Dass die Notwendigkeit, voneinander zu lernen, den Teilnehmer*innen des Recht-auf-Stadt-Forums nun ersichtlicher geworden ist, verdankt sich der Initiative hiesiger Stadtaktivist*innen.