Dienstag, März 19

»Mohrenfest« in Eisenberg: Ignoranz und falsche Toleranz

Seit Jahren gibt es Protest, am vergangenen Samstag kam er direkt zum umstrittenen Stadtfest nach Eisenberg, das mit dem rassistischen M-Wort betitelt ist. Bild: AIS SHK

Es hätte eine Szene aus Spike Lees Film Do the Right Thing werden können, wäre das Setting nicht die Thüringer Provinz gewesen: ein brühend heißer Nachmittag, allerorts Menschen auf der Suche nach einem Schattenplatz oder einer Abkühlung – und eine brodelnde Wut über den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft. Vom 17. bis 19. Juni veranstaltete die Stadt Eisenberg das „Mohrenfest“ in ihrer Innenstadt. Bierbänke, Weinausschank, eine Bühne mit Live-Musik, zahlreiche Imbisswagen und Vergnügungsmöglichkeiten für Klein und Groß schmücken die Wahrzeichen der kleinen Gemeinde am Samstagnachmittag. Die örtliche Feuerwehr präsentiert stolz ihre Gerätschaften um einen Brunnen herum, an dessen Spitze die Statue eines in Gold gekleideten, halbnackten Schwarzen Menschen steht, der gen Himmel in ein Horn bläst. Auch ein Restaurant, ein Hotel mit Café und eine Apotheke sind Träger des als rassistisch geltenden M-Wortes und seiner kolonialen Bildsprache, die Schwarze exotisiert und zu folgsamen Diener*innen herabwürdigt.

Das Stadtfest trägt seit 2019 den Namen. Um die auf dem Wappen der Stadt dargestellte afrikanische Figur ranken sich mehrere Sagen, die als nachträgliche Deutungen des Wappens seit dem 19. Jahrhundert dokumentiert sind. Der Folklore scheinen sich auch einige Passant*innen bewusst zu sein, die ich auf die Kontroverse um das M-Wort anspreche. „Der M*** war schon immer da,“ heißt es von einem Anwohner. Der Begriff sorge „in den Medien immer wieder für Diskussionsstoff“. Aber „wenn wir da jetzt bei allem rumdiskutieren, werden wir niemals fertig.“ Der Protestkundgebung, die an diesem Samstagnachmittag nur fünf Minuten Fußweg entfernt stattfindet, wird er wohl keinen Besuch abstatten.

Die Kritik an der Umbenennung des Stadtfestes ist tatsächlich vereinzelt von den Medien aufgegriffen worden, sie stammt allerdings aus Gruppen migrantischer Selbstorganisierung. Schon im Mai 2019 hatte sich die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. an den Bürgermeister der Stadt, Michael Kieslich (CDU), gewandt – ohne Erfolg. Auch antirassistische Basisgruppen wie Decolonize Jena üben seit Jahren Kritik. An das Protestfest am Samstag entsandte die Gruppe eine Audiobotschaft, in der es hieß, die Namen von Straßen und Plätzen seien „Teil des kollektiven Gedächtnisses“ und müssten daher infrage gestellt werden.

„Der M*** gehört zum Stadtbild“

Am Stand der Stadtverwaltung, der sich unweit des Brunnens befindet, reagiert man verlegen auf meine Nachfrage. Der Jugendratsvertreter – ein Junge im Alter von etwa 15 – entgegnet mir, die Kritik an dem Namen des Festes sei ihm nicht bekannt, es habe dazu auch unter den in der Stadt engagierten Jugendlichen keine Debatte gegeben. Das Thema ist ihm unangenehm, er möchte das Gespräch schnell wieder beenden. Auch einige Passant*innen wollen sich gar nicht erst äußern, scheinen von der Debatte aber etwas mitbekommen zu haben.

Ein etwa 25 Jahre alter Eisenberger, der am Rand des Fests mit einer Freundin im Schatten sitzt, erzählt mir, er habe am Tag zuvor einen Handzettel in seinem Briefkasten gefunden, auf dem Aktivist*innen über den rassistischen Ursprung der Fremdbezeichnung „M***“ aufklärten. „Der M*** gehört zum Stadtbild,“ erklärt der Mann. „Mir ist das egal.“ Die Freundin, die nicht aus Eisenberg stammt, sagt, sie habe sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt. Sie sei zum ersten Mal in der Stadt zu Besuch. „Man kann sich von vielem beleidigt fühlen,“ meint sie. Eine Schülerin, die sich mit einer Gruppe Freund*innen gerade auf dem Weg zum Fest befindet, antwortet auf meine Nachfrage, weniger schnippisch als gleichgültig, Deutschland sei doch ein freies Land. Ob die Bezeichnung rassistisch ist, sei „Ansichtssache“.

Auch People of Colour, die ich auf dem Fest befrage, fühlen sich nicht beleidigt von dem Begriff. So etwa zwei Sicherheitsbeauftragte, ein Mann und eine Frau, beide etwa Mitte 20, die in freundlicher Manier durch die bunten Gassen der Altstadt patrouillieren. Der Mann wimmelt gleich ab. Die Frau, die aus Gera kommt, wechselt ein paar Worte mit mir. Sie fühle sich nicht angegriffen, sagt sie. Ich verweise auf die Gruppe Männer der Erfurter Neonazi-Partei Neue Stärke, die sich wenige Meter von uns an einem Tisch tummeln. Der Mann von der Security will keine Nazis gesehen haben. Seine Kollegin meint, soweit es keine offenen Anfeindungen gebe, sei das keine Bedrohung für die Sicherheit der Veranstaltung. Und wenn sich manche wegen der Nazis dort nicht willkommen fühlten? Hierauf entgegnet sie mir:

Manche fühlen sich nicht willkommen, wenn Ausländer da sind, manche fühlen sich nicht willkommen, wenn Nazis da sind. Dann sollen sie zuhause bleiben.

Ganz andere Töne bekomme ich im Friedenspark bei der Eisenberger Stadthalle zu hören, wo das Protestfest mit etwa 50 Menschen stattfindet. Diverse antirassistische Initiativen und Gruppen haben dort Stände aufgebaut, unter anderem die Mobile Beratung in Thüringen (MOBIT) gegen Rechtsextremismus und die Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ezra. Die Junge Gemeinde (JG) Stadtmitte aus Jena bietet Siebdruck zum Selbermachen an, auf der anderen Seite gibt es einen Graffiti-Workshop und Zuckerwatte. Von der Mitte aus spielen diverse Punkbands, die Musik wird ab und zu unterbrochen, um Aktivist*innen und von Rassismus Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Der Rapper Sonne Ra aus Erfurt wird später für ausgelassene Abendstimmung sorgen.

Die organisatorisch verantwortliche Gruppe „Antifaschistisch Initiativ Solidarisch“ (AIS Saale-Holzland-Kreis) fordert von der Stadt eine Umbenennung des „M*****fests“ und eine öffentliche Positionierung gegen den Namen und gegen Rassismus. Man wünscht sich eine „ernsthafte Aufarbeitung“ kolonialer Kontinuitäten in Eisenberg, dessen Verwaltung die Sage eines verschleppten Schwarzen Jungen weiterhin zu einem identitätsstiftenden Element der Stadtgeschichte macht.

„Wo ist Ihre Demut?“

Die Syrerin Soha Hallawe spricht auf der Kundgebung über die rassistischen Angriffe, die viele nicht-weiße Menschen etwa aus Syrien und dem Irak im Alltag über sich ergehen lassen müssen. Die Mitarbeiterin der Geraer Stadtverwaltung hat zu Rassismuserfahrungen arabisch-stämmiger Menschen in Gera eine Befragung gemacht, die ergab, dass Straßenbahnen, Geschäfte und Behörden allesamt Gefahrenzonen für diese Menschen mit Migrationshintergrund sind. Auf die Polizei sei für die meisten kein Verlass.

Der Historiker Dr. Gero Fedtke von der Universität Jena klärt später aus der Sicht der Forschung über die Ursprünge der Eisenberger „M*****sagen“ auf. Bei dem Wappenbild handele es sich wahrscheinlich ursprünglich um eine Darstellung des Heiligen Mauritius. Die dem Bild nachgedichteten Sagen seien aber nicht wegen ihres Wahrheitsgehalts aufschlussreich, sondern aufgrund dessen, was man aus ihnen herauslesen könne. Sie erzählen von einer Zeit ab dem 18. Jahrhundert, in der es für den europäischen Adel gang und gäbe war, sich Schwarze Kammer- und Hofdiener*innen zu halten. Die spätere, heute geläufigste Sage um den Schwarzen Kopf im Stadtwappen verlegte den Schauplatz in die Zeit der Kreuzzüge.

Auch aus Jena angereist ist die Brasilianerin Rea Mauersberger vom Iberoamérica e.V. Sie spricht auf der Kundgebung scharfe Anklagen gegen den Bürgermeister Kieslich und die weiße Mehrheitsgesellschaft aus. „Wo ist Ihre Demut?,“ fragt sie wütend. „Ich sehe das nicht, ich sehe nur eine Arroganz.“ Ich fühle mich während ihrer Rede an meine Begegnungen auf dem Stadtfest erinnert. Dort interessierte sich niemand für die Demut oder auch nur das Wissen um koloniale Altlasten, das sie auf der Gegenveranstaltung hätten aufgreifen können.

Falsche Toleranz

Mit einem kurzen Besuch auf dem Stadtfest würden sich die Protestierenden in ihren Vorwürfen gegenüber der weißen Mehrheit sicher bestätigt fühlen. Es müsste sich ihnen aber genauso die Einsicht aufdrängen, dass der Name des Festes nicht von allen Menschen mit Migrationshintergrund als „Schlag ins Gesicht“ empfunden wird, wie Rea Mauersberger irrtümlich meint. Ja, nicht einmal die Gegenwart von Neonazis, die sich mit ihrer Kleidung offen als solche zu erkennen geben, erregt das Aufsehen von People of Colour in der Thüringer Kleinstadt.

Solange die Widersprüche unter der Sommerhitze nicht hochkochen und sich die linken Spielverderber in sicherer Entfernung befinden, herrscht Eintracht auf dem Stadtfest in Eisenberg, und alle lassen sich entspannt bei einem Glas Bier oder Wein von Classic-Rock-Coverbands beschallen. Ein trügerischer Frieden. Der „rassistische Konsens“, gegen den an diesem Samstag mit einigem Aufwand mobilisiert wurde, ist inmitten der weißen Spaßgesellschaft zuhause. Das Nicht-Wissen-Wollen hat hier Tradition. Die Fehlannahme der Kritiker*innen, man habe wenigstens nicht-weiße Menschen sicher auf seiner Seite, mag ein Ausdruck von Naivität sein, von Hoffnung oder von beidem. Sie offenbart vor allem, dass jener Konsens weit tiefere Wurzeln geschlagen hat, als man sich selbst mit einem wachsamen Auge für die Probleme unserer Zeit ausmalen möchte.

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