Donnerstag, April 25

Krank glücklich, glücklich krank: »Paradise City & das unentdeckte Land«

Vom Mitmachtheater „Paradise City & das unentdeckte Land“ der Freien Bühne wird es voraussichtlich im August eine Neuauflage geben. Bild: Eric Schmucker

Alle sind glücklich oder dürfen sich damit begnügen, ihr Glück zu finden. Hinter den Stadttoren von Paradise City tut sich ein farbenfrohes Fest der Freude auf, wo jede und jeder eingeladen ist, das eigene Wohlbefinden zu steigern. Denn Paradise Citys Bewohner*innen wissen, wovon sie reden, wenn sie einem Tipps zur Selbstoptimierung geben oder von ihrer glückseligen Partnerschaft schwärmen: Die Gemeinde ist vor einem Jahr zur weltweit glücklichsten Stadt gekürt worden. Das wollen die Bewohner*innen mit ihren Gästen zusammen feiern.

Es ist eine Zerrwelt, die die Freie Bühne Jena am letzten Juniwochenende im Kulturschlachthof aufgebaut hat, vor Publikum muss sie sich nicht scheuen. „Paradise City & das unentdeckte Land“ heißt das selbst konzipierte Stück – alle kommen hier auf ihre Kosten. Wer durch Paradise City flaniert, kann sich mit dem Leiter des stadteigenen Forschungszentrums austauschen, der von heilsbringendenen Fortschritten in der künstlichen Intelligenz prahlt, er kann seinen Lebensrhythmus im „Zeitraum“ auf Trapp bringen oder auf dem „Glücksbasar“ gegen ein Lächeln ersteigern, was das Herz begehrt. Wer inmitten dieses Rummels sein Glück gefunden hat, darf es beim Glücksspiel mit einem gewissen Herrn Sal (Vorname Schick) gleich wieder aufs Spiel setzen. Unterfüttert wird das bunte Treiben von einem Nachrichtenjournal, das über die steigenden Aktien der heimischen Pfirsichfirma informiert.

Selbst das Sterben wird hier noch zum Erlebnis, wenn der Leiter des „Friedparks JenSeits“ seinen Gästen von dem zweiten Leben erzählt, das die Verstorbenen erhalten, indem ihre Überreste zu Schmucksteinen weiterverarbeitet werden. „Irgendwas habe ich vergessen,“ sagt er immer wieder zu sich selbst. Wer genau hinhört, erkennt in solchen Nebenbemerkungen Risse in der fidelen Fassade. Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen, als ich auf dem Glücksbasar nach Gesundheit verlange und von der Verkäuferin nach kurzem Zögern eine Münze mit einem Maiglöckchenbild erhalte, auf der steht: „Sie haben Ihre negativen Energien gereinigt.“ Unverschämtheit.

„Glück“ – ein Zustand, ein Verhältnis oder ein Gefühl?

Als ich mit einer außerirdischen Forscherin ins Gespräch komme, die sich zu Forschungszwecken in einem ihr eher ungemütlichen menschlichen Körper auf der Erde aufhält, beschwert sie sich über die dröhnende Lautstärke unter den Menschen. Sie kritisiert die Ressourcenausbeutung auf der Erde und fordert „nicht fakultative“ Umerziehungslager. Die allseitige Glückspropaganda verwirrt sie. Ihr möchte nicht aufgehen, was dieses Wort bedeutet, „Glück“: Ist das ein Zustand, ein Verhältnis oder ein Gefühl, fragt sie mich. Die menschliche Sprache sei da doch sehr ungenau. Ich gebe ihr Recht und versuche mich gemeinsam mit einem anderen Besucher an einer Erklärung, woraufhin sich die Außerirdische eifrig Notizen macht.

Wir werden von dem buckeligen Herrn Schmidt, dem Leiter des Bürgerservice, unterbrochen, der uns mit einem angestrengten Grinsen durch dicke Brillengläser ansieht. Die Bürokratie ist sein Element, der blaue Pullunder, den er über seinem Hemd trägt, seine zweite Haut. Er möchte alle im Glücksregister der Stadt erfassen. In der Kartei gibt es auch eine Kategorie für diejenigen, die noch auf der Suche sind. Ich habe vorhin bereits einen gestempelten Ausweis vom Bürgerservice erhalten, auf dem das Wort „Integrationsnotwendigkeit“ steht.

Nach einem kurzen Gespräch mit dem Besucher neben mir drückt Schmidt ihm einen solchen Ausweis in die Hand, frisch mit dem Stempel „Integrationsnotwendigkeit“ versehen. Gemeint ist damit so etwas wie: „Das wird schon noch.“ Ich bemerke auf dem Klemmbrett der intergalaktischen Ethnologin, mit der wir soeben sprachen, dass sie auch für integrationsbedürftig befunden wurde. Ich schlage vor, dass wir uns zerstreuen. Die Forscherin stimmt zu, sie möchte auch nicht, dass wir als konspirative Gruppe wahrgenommen werden.

„Das ist nicht die erste Revolte in Paradise City“

In einem öffentlichen „Kreativitätsworkshop“, der wenig später auf einer Bühne stattfindet, wird für alle offenkundig, welchen Grad an Konformität das Glück all denen abverlangt, die meinen, es gefunden zu haben. Was war von einer Stadt, die einen Preis für den durchschnittlichsten Bürger ausschreibt, auch zu erwarten? Die Risse in der Fassade werden tiefer, und das Ganze beginnt zu bröckeln. Die Nachrichtensprecherin berichtet von einer Fahndung. Ehe man sich versieht, versinkt Paradise City in einer Massenpanik. Ruhe bewahren, heißt die nächste Botschaft aus dem Newsroom, „das ist nicht die erste Revolte in Paradise City. Alles bleibt wie geplant.“

Paradise City entlarvt sich in seinem eiligen Zerfall als kommerzielle Trickkiste und gibt die Bürger*innen ihren unterdrückten Ängsten preis. Die repressive Mischung aus Freude und Verzweiflung ist aus dem Alltag westlicher Wohlstandsgesellschaften wohlbekannt: Sie ist vor allem bei Feierabendlaune unentrinnbar. Das bunte Set und die vielen neurotischen Charaktere, die die Freie Bühne in ihrer Mitmachsatire darbietet, lassen die Verdrängung zeitweilig sogar sympathisch wirken. Dann entlädt sich alles angestaute Unglück in einem großen Knall.

Ein neuer Anlauf zum geplanten Glück

Was auf die Unruhe folgt, ist – nein, keine Revolution. Es sei denn, man möchte die längst im Mainstream angekommene Achtsamkeitswende als solche verkaufen. Erschüttert von der Erleuchtung, die der Fall von Paradise City mit sich brachte, leisten die Bürger*innen Abbitte für ihr falsches Spiel. Eine „Wiedergeburt“ steht an. Das heißt: das eigene Unglück von nun an offen gestehen; mehr Vertrauen spenden; erdrückende Pflichtgefühle ablegen; Erinnerungen wachhalten statt immerzu verdrängen; weniger Konformitätsdruck, vielleicht auch weniger Ehrgeiz wagen.

Also ein neuer Anlauf zum geplanten Glück? Wem das gute Leben als gesellschaftlicher Zustand gilt, den selbst die beste Self-Care-Routine nicht herbeizaubern kann, mag den unglücklich glücklichen Ausgang der Inszenierung belächeln. Spannender wäre es, die moralische Botschaft von „Paradise City & das unentdeckte Land“ einen Schritt weiterzudenken, das Stück gewissermaßen gegen sich selbst zu wenden: Das gute Leben lässt sich mithilfe einer Kritik an allem Falschen offenbar noch nicht „entdecken“, sein Geheimnis bleibt ungelüftet. Und so bilden denn auch unsere Wünsche für ein besseres Miteinander die alten Widersprüche ab.

Glücklich der, der ein Symptom hat

Das Unbehagen an dem Zwang, sich seinen Mitmenschen stets als strebsam und glücklich zu präsentieren, taugt nicht zum Wegweiser ins Paradies auf Erden. Die Räume der Solidarität, wo man einander sanft begegnet oder sich einfach mal auskotzen darf – diese Räume stellen eine Therapie bereit, aber nicht den gesuchten Notausgang, sie sind nur ein anderes Arrangement mit dem Bestehenden. Der Publizist Thomas Ebermann hat einmal gesagt, wer sich gelungen therapieren lässt, habe mehr Resignation vollzogen als jemand, der in die Klapse geht. Die Klapse ist vielleicht nicht die Hoffnung, aber sie ist ein Anfang. Willkommen in Paradise City, wo die Symptome sprießen.

Die Premiere von „Paradise City & das unentdeckte Land“ fand am 24.6. im Kulturschlachthof in Jena statt. Informationen zu weiteren Aufführungen sowie Tickets im Vorverkauf auf der Webseite des Kulturschlachthofs.

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