Freitag, April 26

Schweigend spaziert der „Widerstand“ durch Jena – Antifa-Protest größer als Querfrontdemo

Spaziergang Widerstand2020 in Jena

Jena. Es ist kalt und regnet. Vor dem Johannistor sammeln sich schon Viertel vor sieben die ersten Polizeiwagen und das Ordnungsamt der Stadt. Heute hat sich die neue Bewegung Widerstand2020 angekündigt. Sie wollen unangemeldet „spazieren“ gehen. Die Bezeichnung „Spaziergang“ für ihre Demonstration haben sie dem Vokabular der rechtsextremen PEGIDA-Umzüge in Dresden entnommen.

Gegenkundgebung

Antifaschist*innen haben am Vorabend davon erfahren und eine Eilkundgebung angemeldet. Sie wollen der neuen Bewegung einen Strich durch die Rechnung machen. Unter dem Motto „Wer mit Nazis spaziert, hat nichts kapiert“ wollen sie sich gegen die neue Querfront stellen. Der Vorwurf der Querfront ist nicht von der Hand zu weisen: bundesweit demonstrieren Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Hippies und Bauchlinke gemeinsam Seite an Seite auf den Hygienedemos. Die Gegendemonstrant*innen stehen gegen 19.00 Uhr mit 37 Menschen vor dem Johannistor. Alle mit Mundschutz und Sicherheitsabstand, eine Antifa-Flagge weht im Torbogen.

Erste Menschen, die vergangene Woche beim „Spaziergang“ dabei waren, treffen ein. Auch sie haben Schutzausrüstung dabei: Regenschirme. Einen Mundschutz trägt zunächst niemand. Sie wirken etwas irritiert durch die antifaschistische Kundgebung, welche zahlenmäßig überlegen ist und durch den Mundschutz auch etwas gefährlich, weil vermummt, wirkt.

Das Ordnungsamt und die Polizei versuchen mit den „Spaziergängern“ Kontakt herzustellen. Sie wollen die Demonstration in geordnete Bahnen lenken. Wo geht es lang? Wer meldet an? Wieviel Teilnehmer*innen? Tatsächlich finden sie einen Gesprächspartner, der in die Organisation der Demonstration eingebunden ist. Ein wütend drein blickender älterer Mann kommt auf unseren Fotografen zu und ruft ihm entgegen: „Wenn sie mich fotografieren, zeig ich sie an! Das hier ist keine Demonstration, es ist ein Spaziergang“. Dies ruft er auch noch einmal den Polizist*innen entgegen: „Spaziergänge müssen wir nicht anmelden“. Der wütende Mann beschließt im Laufe des Abends, sich einfach einen Mundschutz anzulegen, um sich vor Bildern zu schützen, damit steht er innerhalb der „Widerständler“ ziemlich alleine da.

Die Menge des „Widerstandes“ ist inzwischen auf 26 Personen angewachsen. Die Menschen, die nicht mit der Polizei reden, laufen währenddessen einfach los. Das Bild ist das gleiche wie in der vergangenen Woche. Vornehmlich älteres Publikum, die Polizei beschrieb sie in einer Pressemeldung in der vergangenen Woche als „gut bürgerlich“. Die Truppe läuft schweigend durch die Jenaer Innenstadt. Schilder, Transparente oder Parolen gibt es nicht.

Die Stimmung ist an diesem Montag aggressiver, vielleicht wegen der Gegendemonstrant*innen, vielleicht aufgrund des Wetters. Unsere Reporter (deutlich gekennzeichnet) werden mehrfach angepöbelt. Ein Mann schreit uns entgegen „scheiß Stasi“, ein anderer brüllt: „“nehmt euren Maulkorb ab“ und fragt, weshalb wir uns vermummen. Möglicherweise liegt es auch nur daran, dass wir die Einzigen sind, die auf diesen skurrilen Umzug reagieren.

Die Polizei begleitet die Gruppe mit mehreren Mannschaftswagen. Es wirkt so, als ob diesmal die Hygieneauflagen durchgesetzt werden sollen. Es werden zunehmend mehr Polizeiwagen. Doch eingreifen tut sie nicht. Es wird nur beobachtet. Vor fast einem Monat sah dies noch anders aus, als linke Demonstrant*innen – trotz Mundschutz und Abstandsregeln, für zwei Stunden in Gewahrsam verbringen mussten, weil sie in Jena trotz Verbot demonstrierten. Sie bekamen Anzeigen nach dem Infektionsschutzgesetz. Bei den Anti-Corona-Maßnahmen-Demos scheinen die allgemeinen Regeln nicht zu gelten. Weder Polizei noch Ordnungsbehörde schreiten ein.

Nach einer kleinen Runde durch die Stadt kehrt der Spaziergang zum Johannistor zurück. Die Antifaschist*innen halten mit ihrer kleinen Box und Redebeiträgen die Stellung. Als die Spaziergänger*innen zurückkehren, skandieren sie : „Wer mit Nazis spaziert, hat nichts kapiert“. Diese reagieren mit „Wir können euch mit eurem Maulkorb nicht hören!“. Die Polizei schaut zu.

Die Antifaschist*innen lösen ihre Kundgebung auf, bleiben aber noch vor Ort und beobachten die Situation. Die „Spaziergänger“ zerstreuen sich langsam. Die Polizei wartet geduldig bis alle die Kälte verlassen und nach Hause gehen.

Am Ende bleibt ein weiterer skurriler Auftritt, der mit einer Parteigründung wenig zu tun hat. Harmlos sind diese Menschen aber auch nicht. In ihrer internen Jenaer Gruppe teilen sie online fast nur verschwörungstheoretische Inhalte.

(mm)

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