Dienstag, April 16

Im Interview: Aktivist*innen haben die Stadt Jena mit einer falschen Kampagne zur zukünftig autofreien Stadt genarrt.

Bild eines veränderten Plakates. Foto: Fridays for Future

Jena. Die halbe Stadt diskutiert über eine gefälschte Informationskampagne zur autofreien Innenstadt. Diese bewirbt eine Fotomontage mit einem radfahrenden Oberbürgermeister an diversen Haltestellen im Stadtgebiet. Die Plakate sind von Aktivist*innen aufgehängt worden. Wir haben mit den Menschen hinter dem Projekt gesprochen. Ergebnis ist ein Interview mit Ivonne Meier und Sabine Larfeld.

Die Namen wurden auf Bitten unserer Gesprächspartner*innen verändert.

Libertad Media: Ihr beide seid also Teil der Aktionsgruppe, die gestern einen Teil von Jena sehr wütend gemacht und andere Teile belustigt hat? Was habt ihr genau gemacht?

Sabine Larfeld: Wir haben eine sogenannte Ad-Busting-Kampagne gestartet. Dabei haben wir eigene Plakate an Haltestellen des Nahverkehrs aufgehangen. Außerdem haben wir Flyer im Stadtgebiet verteilt, um dem Bürgermeister Thomas Nitzsche ein längst überfälliges Statement zur Verkehrswende in den Mund zu legen.

LM: Genau die haben wir auch gesehen. Auf den Plakaten war ein fröhlicher Oberbürgermeister auf seinem Rad, der den nahenden Beginn der autofreien Stadt bekanntgab. Dazu gab es auch eine Webseite, die das Design der Stadt Jena kopierte. Was war der Plan dahinter?

Ivonne Meier: In unseren Augen werden von der Stadt Jena einfach viel zu wenige Maßnahmen gegen den Klimawandel gemacht. Es wird zu wenig gegen den motorisierten Verkehr, also viel zu wenig für die Verkehrswende getan. Das wollten wir der Stadt auf diesem Wege mitteilen und unsere Forderungen so einbringen. Es sollte zeigen, was wir von ihnen erwarten.

Sabine Larfeld: Wir sehen, dass die Stadt nichts macht. Wir haben das Paris-Abkommen, das auch von Deutschland ratifiziert wurde. Eigentlich müsste Jena auch der Verpflichtung nachkommen, das Paris-Abkommen einzuhalten. Die einzige Möglichkeit, dieses Abkommen einzuhalten, ist eine krasse Verkehrswende und diese jetzt anzugehen. Studien zeigen, dass dafür der Verkehr radikal reduziert werden muss. Die Alternative wäre ein unkontrollierter globaler Klimawandel über 1,5°C mit unabsehbaren Folgen für Mensch und Planet.

LM: Die Reaktionen waren ja sehr unterschiedlich. Hattet ihr damit gerechnet, dass Menschen tatsächlich auf die Kampagne hereinfallen?

Sabine Larfeld: Wir haben gemerkt, dass mit dieser Kampagne der Diskurs in der Stadt verändert wurde. Es wird auch über die Verkehrswende diskutiert und nicht nur über unsere Aktionsform. Das sehen wir als Erfolg. Wenn da jetzt Leute darauf reingefallen sind, bedeutet dies, dass die Kampagne gut gemacht war.

LM: Jena ist ja bekannt dafür, dass politische Verkehrsfragen zwischen den Nutzer*innen verschiedener Verkehrsmittel sehr leidenschaftlich geführt werden. Hattet ihr eine so heftige Reaktion auf die Aktionsform erwartet?

Ivonne Meier: Ich persönlich hatte nicht eine so krasse Reaktion erwartet.

LM: Aus Teilen der Politik kamen ja auch deftige Reaktionen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Guntram Wothly hat die Aktionsform mit Donald Trump und der AfD verglichen.

Ivonne Meier: Es gibt ja nicht die perfekte Aktionsform, mit der alle zufrieden sind. Wir haben uns im Vorfeld überlegt, dass wir die Aktion mit falschen Plakaten machen. Dass es uns das wert ist und dass diese Form uns weiterbringt. Wenn man bedenkt, wie viele erfolgreiche Aktionsformen am Anfang auch diffamiert wurden: zu den Schulstreiks von Fridays for Future gab es ja auch Aussagen von führenden Politiker*innen wie: „Lasst das mal die Expert*innen machen“. Trotzdem wurde aus der Aktionsform eine riesige Protestwelle. Man kann es nicht allen recht machen – wir halten die Aktionsform für sehr erfolgreich.

LM: Was sind eure konkrete Forderungen für die Verkehrswende?

Sabine Larfeld: Man kann natürlich nicht einfach eine Verkehrsart verbieten. Das hätte negative Auswirkungen auf verschiedene Gruppen. Es müssen Alternativen entwickelt werden, wie eine Mobilitätswende gelingen kann. Es müssen mehr und vor allem sichere Radwege gebaut werden. Der ÖPNV muss ausgebaut werden. Es braucht Park-and-Ride-Systeme, um den Verkehr von der Innenstadt auszulagern.

LM: Eurer Aktion ist ja auch eine Debatte im Jenaer Stadtrat vom letzten Herbst vorausgegangen. Bei dieser wurde das Konzept aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Erhofft ihr euch von dort weitere Impulse?

Ivonne Meier: Ich erhoffe mir von dort nicht mehr viel. Ich erwarte mehr, dass dort weiter in eine fossile und gestrige Verkehrspolitik investiert wird, wie zum Beispiel in die Osttangente.

LM: Würde eine Umfahrung des Stadtzentrums nicht eurem Ziel der autofreien Innenstadt entsprechen?

Sabine Larfeld: Der Verkehr muss reduziert werden, um die Klimaziele einzuhalten. Wenn wir den Individualverkehr weiter reduzieren, werden wir keine mehrspurigen Hauptstraßen mehr brauchen. Das ist der Knackpunkt und trotzdem werden in den aktuellen Verkehrskonzepten Millionen investiert, in eine Technologie, die keine Zukunft hat. Dieses Geld könnte anders besser eingesetzt werden.

Ivonne Meier: Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten. Die autofreie Innenstadt ist auch nicht die Lösung aller Probleme. Es wäre aus ökologischen Gründen total sinnlos, nur die Innenstadt autofrei zu machen und Umgehungsstraßen zu bauen. Die autofreie Innenstadt könnte aber ein Anfang sein, der ausgeweitet wird.

LM: Die Aktion wurde mit Fridays for Future in Zusammenhang gebracht.

Ivonne Meier: Dazu möchten wir klar Stellung beziehen: Es ist keine Aktion von Fridays fur Future! FFF hat scheinbar nur die Plakate gesehen und Bilder davon über ihre Social Media-Kanäle verbreitet. Aber FFF hat damit nichts zu tun.

Sabine Larfeld: Ich möchte noch etwas zur Reaktion des Oberbürgermeisters sagen. Dieser hat ja gesagt, dass er die Aktion witzig gefunden hat. Das ist aber keine Reaktion auf die riesigen Probleme, die mit dem Thema zusammenhängen und uns in Zukunft beschäftigen werden. Deswegen sind wir enttäuscht von dieser Reaktion. „Witzig“ reicht nicht.

LM: Habt ihr euch über die vielen Gruppen gefreut, die eure Kampagne mit einem Augenzwinkern verbreitet haben?

Ivonne Meier: Ja, auf jeden Fall. Das Ziel war, den Diskurs auf das Thema zu lenken und zu zeigen, das Thema Verkehr könnte auch anders behandelt werden. Das ist uns definitiv gelungen. Wir freuen uns, dass viele Gruppen die eklatant falsche Verkehrspolitik der Stadt genauso kritisch sehen wie wir. Und auch sehen, dass JETZT gehandelt werden muss.

Das Interview führte Martin Michel am 3. März 2021

2 Comments

    • Arno

      liebe katharina,

      wie bekommt man denn sonst plakate in die abgeschlossenen schaukästen an der haltestelle (ohne sie zu zerstören)? Mir deucht, da sucht jemand ein Haar in der Suppe. 🙂

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