Zwischen 3.000 bis 5.000 Antifaschist*innen demonstrierten am vergangenen Samstag in Leipzig gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus. Unter dem Motto „Wir sind alle Antifaschist:innen – Wir sind alle LinX“ stellten sich die aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Demonstrant*innen gegen die politische Verfolgung antifaschistischer Strukturen in der Bundesrepublik, die in einer „Leipziger Erklärung“ kritisiert wurde. Darin war von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ die Rede, der die Gemeinnützigkeit aberkannt worden war und die sich zuweilen auch der Forderung eines Verbot ausgesetzt sieht. Es ging in der Erklärung außerdem um Antifaschist*innen, welche in Stuttgart in U-Haft genommen worden, und die seit November 2020 inhaftierte Antifaschistin Lina. Die „Kriminalisierungsbestrebungen“ ereigneten sich „zu einer Zeit, in der Faschist:innen wieder Land gewinnen – ob auf den Straßen oder in den Parlamenten, in Deutschland und weltweit.“ Weiter heißt es: „Nicht nur die Wahlerfolge der AfD und anderer rechter Parteien zeigen, dass die faschistische Gefahr wieder aktuell ist. Es ist noch nicht lange her, dass die Morde des NSU und die Verstrickungen durch Behörden wie dem Verfassungsschutz bekannt wurden.“ Die regelmäßigen Meldungen über rechte Netzwerke innerhalb der Sicherheitsbehörden, verschwundene Waffen, Munition und Sprengstoff aus deren Beständen und rassistische, antisemitische und frauenfeindliche Chatgruppen lösen Sorgen in den antifaschistischen Kreisen aus und atomisieren jeden Hauch von Vertrauen in die staatlichen Organe. „Rechte bewaffnete Gruppen entstehen allerorts und die Dunkelziffer derer, die nicht auffliegen, dürfte noch viel höher sein,“ fürchtet man.
Wer wie nach einem Hufeisenmodell links und rechts gleichsetzt, verteidigt aber nicht die Demokratie. Stattdessen diffamiert und bekämpft man die, die für eine solidarische Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ohne Angst gemeinsam unterschiedlich sein können. Das führt auch dazu, dass von CDU und AfD großer Druck auf linke und kulturelle Einrichtungen ausgeübt wird. Besonders im ländlichen Raum stehen Projekte zurzeit wegen der Einstellung von Förderungen vor dem Aus. Linke Projekte werden so an den Rand der Gesellschaft gedrängt und rechte Gewalt relativiert.
Aus der „Leipziger Erklärung“
Die Demonstration selbst war „im Großen und Ganzen unglaublich entspannt“, wie uns eine Antifaschist*in aus Thüringen berichtete. Die Stimmung sei „sehr kraftvoll und gut, aber keinesfalls aggressiv gewesen. Vereinzelt seien Steine und „Böller“ auf eine Polizeiwache geflogen. Als hierauf keine Reaktion der Polizei erfolgte, sei die Stimmung ausgelassener geworden und die Sprechchöre lauter. Auf mehrere Banken flogen auch Steine, deren Würfe mit lautem „A-, Anti-, Anticapitalista!“ begleitet wurden. Nachdem die Demonstration am Endpunkt Connewitzer Kreuz angekommen war und noch immer keine Einsatzkräfte zu sehen waren, wurde eine kleine Barrikade von Einzelnen errichtet und angezündet, sehr zum Interesse der anwesenden Pressevertreter*innen. Von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wie in der Springerpresse kolportiert wurde, sei die Demo weit entfernt gewesen.
Im Zuge der Berichterstattung kam es zu zahlreichen Übergriffen der Polizei auf Pressevertreter*innen. Jörg Reichel von der Deutschen Journalisten-Union bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kritisierte die Einsatzkräfte scharf: „Die sächsische Polizei und die Bundespolizei haben 3 Std. lang ab 17:45-20:45 zahlreiche Journalist*innen frontal angegriffen. Zwischenbilanz: 9 Übergriffe, inkl. 4 tätliche Angriffe wie Schlagen, Schubsen, Sachbeschädigung durch Polizei.“ Dies zeigen auch zahlreiche veröffentlichte Videos und Beiträge von Journalist*innen in den sozialen Medien. „Die Polizei Sachsen hat ein großes Problem mit der Pressefreiheit,“ so Reichel weiter.
Viel Kritik entspann sich um ein Transparent mit der Aufschrift „Dirk Münster – Bald ist er aus dein Traum, dann liegst du im Kofferraum“. Dirk Münster ist Leiter des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums am Landeskriminalamt Sachsen (PTAZ). Für Innenminister Roland Wöller (CDU) ein „offener Mordaufruf“, er fordert die Linkspartei auf, sich von ihrer Landtagsabgeordneten Juliane Nagel zu distanzieren. Die Anwaltskanzlei Eisenbahnstraße stellte sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gegen diese Interpretation. Das Banner sei von zwei Transparenten eingerahmt gewesen, die spöttisch und selbstironisch auf die Berichterstattung im Prozess gegen Lina E. Bezug nahmen. Sachlich, so die Kanzlei weiter, „werde derjenige angegriffen, der rein faktisch und strukturell verantwortlich dafür ist, dass umfassende Akten aus dem #freelina Verfahren an das extrem-rechte Compact-Magazin und militante Neonazis gelangt sind. Diese machen daraus nun eine aus den Akten bebilderte Steckbrieffahndung mit verstecktem Mordaufruf gegen Mitbeschuldigte. Die Kollaboration der sächsischen Polizei mit Nazis hat Tradition und nimmt hier erneut ein Ausmaß an, das einen direkten Angriff auf Leben und Gesundheit von AntifaschistInnen darstellt. Genau hierauf wird mit dem Transparent hingewiesen, möglicherweise überzogen, aber inhaltlich treffend.“ Auch die überspitzte Kritik an der „Linksextremismus“-Sonderkommission „Soko LinX“ und ihrem Leiter sowie deren Datenlecks sei zulässig und notwendig. Die Kampagne „Wir sind alle LinX“ distanzierte sich auf Twitter vom Transparent: Es sei „nicht vom Demokonsens gedeckt“ gewesen „und hätte entfernt werden müssen,“ hieß es dort. Die Szeneanwältin Kristin Pietrzyk schrieb zu Fehlinterpretationen des Transparentes: „Alle anderen Interpretationen sind übrigens auch eine Beleidigung an die Intelligenz der Ersteller:innen.“
Text: Martin Michel
Bilder: Lionel C. Bendtner