Berlin. Im berühmt-berüchtigten Hausprojekt Rigaerstraße 94 ist es gestern und heute zu Teilräumungen und einem größeren Polizeieinsatz gekommen. Nach Angaben der Polizei Berlin ging es beim Einsatz am Donnerstag um die Durchführung mehrerer Durchsuchungsbeschlüsse. Ermittelt habe man wegen Ermittlungsverfahren bzgl. eines Sozialbetrugsverfahrens und der mutmaßlichen Blendung eines Polizisten mit einem Laserpointer. Am frühen Donnerstagmorgen schlugen die Beamt*innen zu und stürmten das Gebäude. Die Polizist*innen nahmen nach Angaben des Projektes das Vorderhaus in Beschlag und besetzten Hof und Dach.
Im Schlepptau hatte die Polizei den mutmaßlichen Hausverwalter des Gebäudes Torsten Luschnat (Immobilienmakler) und einen Tross Bauarbeiter und Security. Mutmaßlich, da die ominöse Briefkastenfirma, die Eigentümer der Rigaerstraße 94 sein will, bis zum heutigen Tag nicht nachweisen konnte, dass sie eine Vertretungsberechtigung für das Gebäude hat. Sie war beim Verfahren um die Räumung des Szenelokals „Katerschmiede“ nicht in der Lage ihre Ansprüche nach deutschem Recht nachzuweisen. Auch in keinem anderen Verfahren konnte sie Rechtsansprüche – zwingende Voraussetzung für Räumungsklagen, darstellen. Gut für die Mieter*innen des Gebäudes, die so vor dem Investor geschützt sind. Eigentlich. Ohne Rechtsanspruch keine Räumungsklage, ohne Räumungsklage kein Räumungstitel und ohne Titel keine Räumung. Dies hatte das Berliner Landgericht der Polizei und dem damaligen Innensenator Frank Henkel bereits 2016 ins Buch geschrieben.
Nach der Razzia versuchte die Polizei nach Angaben der Rigaer94 weiter Wohnungen im Vorderhaus zu betreten. Was wenig überraschend auch gelang. Gleichzeitig zerstörten die mitgebrachten Bauarbeiter diverse Türen im Gebäude. Aufnahmen des rbb dokumentieren dies. Warum die Polizei die klaren rechtswidrigen Handlungen der Hausverwaltung nicht stoppte sondern diese sogar schützte ist fraglich.
Auch heute tauchte die Hausverwaltung um 6.00 Uhr unter Polizeischutz erneut am Gebäude auf. Sie kündigten an, die Mieter*innen einer Wohnung im 4. Stock räumen zu wollen. Wieder ohne Räumungstitel.
Die Polizei setzte parallel einen bemerkenswerten Tweet ab:
Dieser Tweet ist eine gezielte Lüge. Bereits nach wenigen Minuten wurde die Polizei von zahlreichen Nutzer*innen auf die Unwahrheit hingewiesen. Auch Journalist*innen veröffentlichten Bilder des laufenden Einsatzes. Der Beitrag hatte offensichtlich das Ziel, Proteste zu verhindern und eine öffentliche Begleitung des Einsatzes zu verhindern. Die Polizei brauchte fünf Stunden um eine Korrektur zu veröffentlichen. Dass es tatsächlich viele Stunden benötigt, um festzustellen, dass die eigene Organisation einen Einsatz im Stadtgebiet durchführt ist ausgeschlossen.
Die Bewohner*innen öffneten die Tür der Wohnung im 4. Stock nicht. Um 9.40 Uhr begannen die angereisten Bauarbeiter die Tür zur Wohnung einzuschlagen. Gleichzeitig begannen Arbeiter vom Dachboden ein Loch in die Wohnung zu schlagen. Nach Angaben der Rigaer94 wurden sie dabei von Polizist*innen beschützt. Nach einiger Zeit habe die Polizei die Arbeiten wohl gestoppt. Die Bewohner*innen mutmaßen, die Polizei habe festgestellt, „dass es sich um eine faktische illegale Räumung handelt“. Es wird berichtet, dass Löcher in Wände geschlagen und die Menschen in den Wohnungen angegriffen wurden. Die Bewohner*innen hätten die Wohnungen aber „verteidigen“ können.
Währenddessen räumten Arbeiter*innen eine offensichtlich bewohnte Wohnung im Erdgeschoss. Auch für diese lag kein Räumungstitel vor. Gegen 15.00 Uhr zog sich die Polizei aus dem Gebäude zurück. Bewohner*innen fischten die gestohlenen Möbel verzweifelt aus einem vor dem Haus stehenden Bauschuttcontainer heraus.
Für den heutigen Abend kündigte die Rigaer94 Proteste gegen die mutmaßlichen illegalen Räumungsversuche an. Aktuell läuft eine Kundgebung vor dem Haus. Am Boxhagener Platz soll um 21.00 Uhr eine Demonstration starten. Die Demonstration läuft unter dem Motto „Raus aus der Rigaer – Finger weg von unseren Projekten, raus aus der Defensive“.
Am 1. August soll es in Berlin dann eine große Demonstration geben, zu welcher bundesweit mobilisiert wird. Unter dem Motto „Raus aus der Defensive“ kündigen diverse Initiativen Proteste gegen die bevorstehenden (oder bereits erfolgten) Räumungen der Projekte: Syndikat, Meute, Liebig34, Potse und Rigaer94 an. Es ist mit tausenden Teilnehmer*innen zu rechnen.
Martin Michel
Darstellungen der Polizei zu den Ereignissen wurden nicht in den Artikel übernommen, da die Berliner Polizei in diesem Konflikt offensichtlich nicht als neutrale Quelle anzusehen ist.