Donnerstag, Mai 2

»Baby don’t hurt me« – Erwachsenwerden unter dem männlichen Blick

Bild: Joachim Dette/Theaterhaus Jena

Jena. Am Theaterhaus steht eine überfällige Premiere an. „Baby don’t hurt me” heißt das Stück, an dem Regisseurin Susanne Frieling zusammen mit der jungen Laienschauspielerin Anna Schmidt seit nunmehr zweieinhalb Jahren gearbeitet hat. Eigentlich hätte die Premiere schon im April letzten Jahres stattfinden sollen. Ein kurzer Probenbesuch.

Die Inszenierung „Baby don’t hurt me“, in der es um das Erwachsenwerden eines Mädchens unter dem männlichen Blick ihres älteren Verehrers geht, speist sich aus zwei literarischen Quellen, erklärt der Dramaturg Thorben Meißner. Zum Einen ist da Anna Schmidts Fantasy-Geschichte über die verspielte Melissa Turia, die ihre Zauberkräfte entdeckt. Viele der Zeilen, die der Schauspieler Lukas David Schmidt spricht, stammen wiederum aus Vladimir Nabokovs kontroversem Klassiker Lolita aus dem Jahr 1955 – eine minutiöse Dokumentation pädophiler Gelüste.

Der Altersunterschied zwischen Anna und Lukas, die nur durch Zufall den gleichen Nachnamen tragen, ist ein viel geringerer als der zwischen dem Mädchen Lolita und dem Erzähler Humbert Humbert im Roman – und genau darum geht es der Regisseurin. In Humberts Beziehung zu Lolita findet sich ein Archetyp des Mädchenseins in der patriarchalen Gesellschaft wieder, das sich von der Romanhandlung abschälen lässt. Über die Anleihen aus Lolita sagt Frieling:

Klar ist es eine toxische und nicht korrekte Beziehung, weil es ein älterer Mann mit einem Mädchen ist, der sie ausnutzt. Aber trotzdem hat Lolita ja auch Züge von Neugierde, und der Zeitpunkt der Handlung fällt mit ihrem Entdecken der eigenen Sexualität und Liebe zusammen – und das erzählen wir gepaart mit dem Machtverhältnis zwischen Humbert und ihr. Ich wollte die Geschichte aber nicht hinsichtlich des Alters erzählen. Stattdessen sollte es sich eher motivisch und lose an Lolita bedienen.

Die Zusammenarbeit zwischen Regisseurin und Hauptdarstellerin ließ viele biografische Elemente und persönliche Interessen Annas in „Baby don’t hurt me“ einfließen, bis hin zu Requisiten aus ihrem Kinderzimmer. Dramaturg Meißner meint anerkennend, die Texte der 19-Jährigen spiegelten „ein feministisches Erwachen“ über die letzten Jahre hinweg. Der kritische Grundton äußert sich konkret etwa darin, dass der Blick ihres männlichen Gegenübers auf ihre körperlichen Details gerichtet ist, untermalt von Humbert Humberts objektifizierenden Monologen. Er fragt sie bald, ob er sie filmen dürfe; sie lässt ihn gewähren. Auf einer Leinwand neben dem mit Palmen dekorierten Innenraum, in dem sich die beiden befinden, wird das Bild wiedergegeben, das der Mann von der jungen Frau einfängt.

Blicke lasten auf Anna nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern auch wegen ihrer Behinderung. „Hast du manchmal das Gefühl, dass alle Blicke nur auf dich gerichtet sind?“ spricht sie in die Kamera. Ihr Gang ist geprägt von einem verkürzten linken Bein. Sie zeigt dem neugierigen Betrachter auch Narben, die sie infolge von zahlreichen Operationen erhalten hat. Sie überlässt die Auslegung des Bildes, das sie an die Öffentlichkeit abgibt, aber nicht deren Urteil, sondern ordnet selbst ein – immer auf der Schneide zwischen Selbstzeugnis und Fiktion, Selbstermächtigung und Objektifizierung.

Die Premiere von „Baby don’t hurt me“ am Theaterhaus Jena findet am 1. Dezember um 20 Uhr statt. Mehr Informationen zu den Coronaregelungen und weiteren Vorstellungsterminen gibt es auf der Webseite des Theaterhauses.

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