Donnerstag, März 28

Investigativ: Rechtsradikale mischen bei Jenaer Corona-Flashmobs mit

Wilhelm Tell nimmt am Coronaflashmob am 19. September 2020 in Jena teil. Foto: Martin Michel - Libertad Media

Jena. Nachdem sich die Organisationsversuche der Coronamaßnahmen-Kritiker*innen zuletzt in der Saalestadt verlaufen hatten, bildet sich seit einigen Wochen eine neue Gruppierung heraus: mit Flashmobs wollen die Teilnehmenden auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Dabei treffen sie sich meist 14:00 Uhr im Innenstadtbereich und brüllen für einige wenige Minuten eine Parole – beispielsweise „Pandemie: gab es nie“ oder „Zeig Gesicht – diese Masken schützen nicht“. Kurz nach der großen Querdenken-Demonstration am 20. August in Berlin gründete sich Anfang September die neue Initiative „Jena Samstag 14 Uhr“. Zunächst online auf Telegram, dann auch mit echten Aktionen in der Stadt. Die neue Gruppierung folgt damit der gleichen Stoßrichtung wie ähnliche Gruppen: in Teilen demokratiefeindlich, antisemitisch und natürlich als Querfront.

Eine interessante Personalie ist die sehr aktive Mitwirkung des in der Jenaer Stadtgeschichte als Rechtsradikalen bekannten Wilhelm Tells (ehemals Republikaner). Dieser ist von Beginn an Teil dieser Gruppe, schreibt viel und nimmt auch an den Aktionen teil. Tell stellte von 2002 bis 2006 der rechtsradikalen Burschenschaft Normannia Jena ein Gebäude zur Verfügung: die „Wilhelmsburg“ (Schleidenstraße 2). Der Burschenschaft wurde aufgrund zahlreicher antifaschistischer Interventionen 2006 von Tell gekündigt: angeblich „zum Schutze der zumeist ausländischen Mieter des Hauses“, wie er damals der TLZ weismachen wollte. In der Realität wurden die Wohnräume massiv in der rechten Szene beworben, wie in der rechten Zeitung „Nation und Europa“ aus Coburg, in dem V-Mann Tino Brandt mitarbeitete oder dem „Mitteldeutschen Sprachrohr“ aus Jena, das maßgeblich vom zwischenzeitlich inhaftierten Ralf Wohlleben herausgegeben wurde, wie Katharina König-Preuss (Mitglied des Landtages DIE LINKE) 2012 recherchierte. In der TLZ (26. September 2002) durfte Tell dann auch mit dem O-Ton, „Als ob das jemanden etwas angeht. Ich frage doch auch nicht, ob jemand einen [N-Wort entfernt] ins Haus lässt“ seinen Rassismus unkommentiert verbreiten.

Tell war zumindest in den frühen Nullerjahren ein bestens vernetzter Neonazikader. So pflegte er Beziehungen zum Rechtsterroristen Karl-Heinz Hoffmann. Dieser agierte in seiner Geburtstadt Kahla. Tell und Hoffmann verdienen ihr Geld mit Werbung an der Autobahn. Es ist anzunehmen, dass auch zwischen Ralf Wohlleben (Unterstützer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund „NSU“) und Wilhelm Tell zumindest eine Bekanntschaft bestand. Wohlleben konnte sich beispielsweise am 251. Verhandlungstag des NSU-Prozesses genau erinnern, dass 1998 „neben dem Auto von Tino Brandt vor meinem Wohnhaus auch das Fahrzeug des Republikaners Wilhelm Tell und der PKW von Christian Kapke“ durch Linke angezündet worden seien. Wilhelm Tell ist weiterhin aktiv in der neonazistischen Szene. Das belegt unter anderem seine Teilnahme an entsprechenden Demonstrationen, zuletzt dokumentiert am 1. September 2018 in Chemnitz. Hier ging Tell gemeinsam mit der AfD und Pegida auf die Straße.

Wilhelm Tell (im Rechteck) am 1.9.18 auf einer rechtsradikalen Demonstration in Chemnitz.

Eine Kombination, die ganz nach seinem Geschmack gewesen sein dürfte. Auch die Burschenschaft Normannia war stets Bindeglied zwischen rechtskonservativen Kreisen und aktionsorientierten militanten Neonazis. In der neuen Anti-Coronamaßnahmen-Querfront sieht Tell eine Bewegung zum Umsturz, so schreibt er „seit 1993 sehe ich die Mißstände in diesem gegen meinen Widerstand größer werden [sic!], und jetzt, wo endlich eine große Zahl an Bürgern erkennt, welches Spiel sie mit uns treiben […]“. Damit zeigt er auch, dass er die neuartige Bewegung als Weiterführung seiner bisherigen rechtsradikalen Politik sieht. Auf dem Facebook-Profil Tells ist als Beschreibung zu lesen: „Der Gott der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“. Mit Sicherheit nicht zufällig auch der Slogan des verbotenen rechtsradikalen Thüringer Heimatschutzes. Außerdem ist mit Tilo W. mindestens ein weiterer Neonazi in der Gruppe aktiv. Er ist dem rechtsradikalen Fußballspektrum zuzurechnen und posiert auch mal mit anderen Männern, die zum Beispiel ein Hakenkreuz auf den Bauch tätowiert haben.

Tilo W. dritter von Rechts. Quelle: Facebook

Der Querfront-Charakter der Gruppierung zeigt sich auch an der Teilnahme von ehemals der linken Szene nahestehenden Personen. Im Zuge unserer Recherche konnten wir eine identifizierbare weibliche Person im Chat entdecken. Diese war früher im Umfeld der JG-Stadtmitte aktiv. Heute schreibt sie von „Corona-KZs“ und über die Gegendemonstrant*innen, diese seien „gekauft von einem faschistische System [sic!]“. Am 19. September rief sie Antifaschist*innen entgegen: „Wer bezahlt euch, ihr Schergen?“.

Der erste organisierte Flashmob fand am 19. September in der Löbderstraße statt. Es hatten sich etwa 20 Menschen eingefunden und brüllten: „Pandemie gab es nie!“ Die Aktion wurde von antifaschistischen Protesten begleitet. Die Antifaschist*innen hatten ein Megaphon dabei und informierten über ein „akutes Infektionsrisiko im Bereich der Straße“. Sie hielten die Passanten zum Einhalten von Abständen und dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes an. Dabei verteilten sie kostenlos OP-Masken in der Straße. Weitere Flashmobs gab es am Samstag, den 26. September (Markt), am 3. Oktober (Oberlauengasse) und am Freitag, den 9. Oktober (Goethe Galerie).

Dass auch antisemitische Verschwörungstheorien eine Rolle spielen, zeigte sich auch in der Chatgruppe. So wurden Inhalte veröffentlicht, welche sich auf Verschwörungsmythen rund um den jüdischen Milliardär und Holocaust-Überlebenden George Soros (90) beziehen. Dieser ist in der Welt der Verschwörungsideolog*innen die Inkarnation des Weltschurken und eine Chiffre für die angebliche „jüdische Weltverschwörung“.

Als Nächstes will die Gruppierung am kommenden Samstag um 14:00 Uhr zum Flohmarkt aktiv werden.

(MM)

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