Montag, Oktober 7

„Zur Wartburg“ am Theaterhaus Jena: Kneipenleben und Ostalgie

Was eignet sich besser als Fallstudie zum Thema Nostalgie als ein komisch-melancholischer Kneipenabend? Bild: Lana Graves/ Unsplash

In Zeiten der Pandemie wird jedes Stück zum Kammerspiel. Am Theaterhaus Jena wird am Donnerstag „Zur Wartburg“ die Spielzeit eröffnen – eine Premiere, die eigentlich schon für den April vorgesehen war und dem Ensemble einen Planungsneustart abverlangte. Im Stück nach einer Idee des niederländischen Theaterkollektivs „Wunderbaum“ geht es um ein Jenaer Original aus dem Damenviertel: die Kultkneipe „Zur Wartburg“, die sich ihren eigentümlichen DDR-Charme bis zum Wechsel des Betreibers im letzten Jahr bewahrt hatte. Das Publikum muss sich (nicht nur optisch) auf eine gehörige Portion Ostalgie einstellen – und auf die zeitgeschichtlichen Fragen, die sich unter solchen „Käseglocken“, wie der Regisseur Walter Bart die Kneipe nennt, aufdrängen.

Besonders an der Inszenierung ist nicht nur der lokale Bezug, sondern auch die Tatsache, dass die Gaststätte für das Bühnenbild mit Originalrequisiten wieder aufgebaut wurde: vom Tresen über Tischdecken bis hin zur Zierpflanze. Auch das sogenannte Brigadetagebuch, das zur DDR-Zeit die Entwicklung des „Arbeitskollektivs“ im „sozialistischen Wettbewerb“ dokumentierte, ist darunter. „Die neue Wartburg steht, aber zur alten kann man jetzt auch wieder hinfahren,“ sagt Walter Bart.

Es gehe im Stück um Nostalgie „für das, was einem früher Sicherheit gegeben hat“, und dazu zählen sicherlich nicht nur abendliche Zufluchtsorte. In metadramatischen Sprüngen zwischen den Zeitebenen von 1980, 2000 und 2020 soll auch die Konfrontation mit der Zukunft in die Handlung mit einfließen und der Komödie die angemessene Tragik beimischen. Denn so spannend und erheiternd Entdeckungsreisen in die Erinnerungen einer Stadt und eines Landes sind, ringt einem der Zahn der Zeit immer auch eine gewisse Dosis Melancholie ab.

So hoffentlich auch den Zuschauer*innen, die ebenfalls an Kneipentischen Platz nehmen und so in die heimelige Atmosphäre mit hineingezogen werden. Der Verzicht auf Tribünen ist aber auch dem Hygienekonzept geschuldet, das nur ein kleines Publikum zulässt und ein paar dramatische Kunstgriffe für einen nahtlosen Ablauf des Schauspiels erfordert hat. Wie gut sich Durchlüftepisoden und die Versuche der Wirtin, Abstandsregeln einzuhalten, wirklich ins Stück fügen, ist aber unbedeutend. Zur Präsentation historischer Einschnitte, um die es ja auch bei der Nachwendegeschichte geht, werden sie allemal beitragen. Und bis heute haben wir schließlich alle gelernt: Denkwürdige Begegnungen sind auch auf Abstand möglich.

(pj)

Das Stück „Zur Wartburg“ wird am 15.10. uraufgeführt. Die Oktober-Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Der Vorverkauf für die Dezember-Vorstellungen beginnt am 22.10.2020.

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