Samstag, April 20

Polizei Thüringen: löscht euch! Euer Derailing ist peinlich

Tweet Polizei Thüringen: Rückinfo der Kripo Weimar: Wir haben eine Anzeige nach §130 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Volksverhetzung) gefertigt. Nach Vervollständigung der Aktenlage wird der Vorgang umgehend der Staatsanwaltschaft Erfurt vorgelegt.

Eine Kolumne zur peinlichen Öffentlichkeitsarbeit der Thüringer Polizei

Die Thüringer Polizei ist mal wieder Thema in den sozialen Medien. Nicht weil es einen interessanten Polizeibericht gab, sondern wegen ihres Social Media Teams.

Was ist geschehen? Die Ortsgruppe Fridays for Future Weimar setzte am 30. Juni folgenden Tweet ab:

„Feuerwehr und Rettungsdienst retten Menschen. Die Polizei diskriminiert, mordet, prügelt, hehlt. Lasst uns aufhören die beiden in einem Atemzug als „Helfer“ zu titulieren. Stattdessen sollten wir Antifa und Migrantifa wertschätzen! Deutschland hat ein #Polizeiproblem.“

So weit, so gut. Eine Schüler*innengruppe kritisiert also den bewaffneten Arm des Staates. Für sie ist die Polizei (zu unterscheiden von allen Polizist*innen) kein Helfer.

Das bewaffnete Organ des Staates in Form des Social Media Teams der Thüringer Polizei kann dies scheinbar nicht auf sich sitzen lassen und kündigte am 2. Juni (auch auf Twitter) den Gegenschlag an. Man habe „den Tweet gesichert“ und prüfe den Anfangsverdacht für eine Straftat, „der Vorgang wurde der Kriminalpolizeiinspektion Weimar zugeleitet“. Wenig überraschend folgte dann heute der Paukenschlag in dieser absurden Inszenierung – die Kripo Weimar habe Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt!

Da muss der geneigte Leser wirklich aufpassen, dass der Morgenkaffee nicht vor Lachen in der Tastatur landet und die Kommentierung dieser peinlichen Scharade unmöglich wird. Nach dem ersten Lachen liest man sich nochmal den Beitrag der Schüler*innen durch und fragt sich, ob hier die Deutsche Polizei tweetet oder chinesische Sicherheitskräfte in Hongkong übernommen haben.

Was steht eigentlich im Tweet?

Die Polizei diskriminiert: Und das ist wahr. Es gibt viele Fälle, wo Polizist*innen diskriminierend auftreten. Man denke an die Ermittlungen zum NSU-Komplex, in welchen die Polizei rassistisch die Verschwörungstheorie der „Dönermorde“ verbreitete und gegen die Opfer ermittelte. Man denke an Racial Profiling. Auch könnten die Recherchen der TAZ zu den Zuständen in der Polizei Weimar möglicherweise die jetzt ermittelnden Beamten auf den neuesten Stand updaten.

Die Polizei mordet: Ja, das tut sie. Umgangssprachlich ist der Mord ein Vorgang, bei dem ein Mensch einen anderen tötet. Seit 1952 sind 512 tödliche Schüsse in der Polizei dokumentiert. Sicher in den meisten Fällen durch Gesetze legitimiert, doch wer glaubt ihnen, wenn sie gegen sich selbst ermitteln? Wir kennen die Fälle ihrer „Ermittlungsarbeit“ gegen eigene Kolleg*innen in den Todesermittlungen zu: Oury Jalloh, Robble Warsame, Amad Ahmad, Achidi John, Hussam Fadl, um nur einige Namen zu nennen. Sie vertuschen, verschweigen und verstecken sich hinter einer Mauer des Schweigens. Die Nachbetrachtung des G20-Gipfels zeigt ihre Unfähigkeit der eigenen Fehlerkultur. Von zahlreichen exzessiven Gewaltausbrüchen der tausenden eingesetzten Beamt*innen kam bislang nur ein Fall vor Gericht (Überraschung: der angeklagte Polizist hat eine Flasche auf Polizist*innen geworfen). Wer daran glaubt, dass es bei den über 150 Ermittlungsverfahren nur in einem Fall möglich war, eine Täter*in zu ermitteln, glaubt auch an fliegende Schweine.

Die Polizei prügelt: Natürlich tut sie das. Jedes Jahr laufen über 2000 Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt. Davon kommen aber nur 2% zur Anklage und etliche Fälle werden nie zur Anzeige gebracht. Weil die Polizei immer gleich reagiert: Gegenanzeige wegen Widerstand. Es gibt kaum Anwält*innen, die empfehlen würden, Polizisten wegen solcher Delikte anzuzeigen, und wenn, dann nur mit eindeutigen Beweisen.

Die Polizei betreibt Hehlerei: Hier haben die aufmerksamen Klimaaktivist*innen wohl die Vorgänge in Leipzig beobachtet. Die Polizei Leipzig hat mehr als eintausend sichergestellte Räder an Kolleg*innen und Freund*innen zu Spottpreisen verramscht. Strafrechtlich mag das keine Hehlerei sein, für den zivilen Bürger*in ist der Verkauf gestohlener Ware (ja, das sind diese Räder oft) allerdings genau das.

Gut, so weit haben die Schüler*innen uns Tatsachen präsentiert. Was bleibt, ist die Meinung: Polizist*innen sind aus diesen Gründen keine Helfer*innen. Und wir sollten lieber die Antifa und Migrantifa wertschätzen. Eine vollkommen zulässige Meinungsäußerung, durch das Grundgesetz geschützt.

Was die PR-Abteilung der Thüringer Polizei hier versucht hat, ist die Einschüchterung politisch aktiver Menschen und eine Ablenkung der Mehrheitsgesellschaft von dem eigentlichem Diskurs über strukturelle Probleme im System Polizei. Ein klassischer Derailingversuch.

Der Thüringer Polizei kann man nur zurufen: löscht euch! Auf Twitter, auf Facebook und wo ihr euch sonst im Netz versteckt. Welchen staatlichen Auftrag erfüllt ihr dort eigentlich? Welchen Mehrwert hat unsere Gesellschaft, wenn ihr z.B. eine Verfolgungsjagd mit vier Verletzten und einem überschlagenen Auto als lustiges Super-Mario-Rennen darstellt? Die Institution Polizei hat sich nicht in demokratische meinungsbildende Prozesse einzumischen.

Und wenn ihr das nächste Mal unzufrieden mit einem Beitrag über euch seid: lebt einfach damit. Ihr seid das bewaffnete Organ des Staates und wirkt wie ein Kleinkind in einem Streit. Der Respekt, der in euren Augen in der Gesellschaft flöten geht, entsteht nur durch euer eigenes Verhalten. Wer sich ständig als Opfer stilisiert, wird dann schlussendlich eben auch so wahrgenommen.

Martin Michel

Update 7.6.20: Der wegen Dosenwurf angeklagte Polizist beim G20 Gipfel wurde inzwischen freigesprochen, wie die Zeit berichtet.

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