Freitag, April 26

Umgang mit sexueller Gewalt in der ostdeutschen Provinz

Feministische Kundgebung am 25.7.2020 in Eisenach. Bild: Libertad Media - Martin Michel

Ein Bericht aus dem thüringischen Städtchen Eisenach, wo am vergangenen Wochenende Rechtsextreme eine Demonstration wegen einer Gruppenvergewaltigung veranstalteten. Antifaschist*innen hielten mit einer feministischen Kundgebung dagegen.

Die Altstadt von Eisenach hat an diesem Samstag einen verträumten Charme. Menschen sitzen in Cafés zwischen sanierten mittelalterlichen Altbauten. Kinder spielen am Marktplatz am Brunnen. Ein buntes Treiben in den engen Gassen und weiten Plätzen der thüringischen Kleinstadt.

Doch das scheinbar ungestörte Flair wird unterbrochen von zahlreichen Polizist*innen, die sich zu den entspannten Menschen in der Altstadt gesellt haben. Eisenach wird am 25. Juli 2020 keinen normalen Samstag erleben. Der Neonazi Patrick Wieschke (NPD) hat zur großen Kundgebung mit anschließender Demonstration geladen. Wie so oft.

Einen Grund hat er auch gefunden. Am vorangegangenen Montag gab es in Eisenach eine furchtbare Tat. Drei junge Männer vergewaltigten gemeinsam eine 19-jährige Frau. Ein Verbrechen, welches die Kleinstadt erschütterte. Die mutmaßlichen Täter sitzen in U-Haft. Schon seit Montag. Da es mittlerweile in Polizeibehörden üblich ist, die Nationalität der Täter*innen zu benennen, auch wenn diese nichts mit dem Tathergang zu tun hat, hieß es: „afghanische Herkunft“. Viele Medien verbreiteten diese Information.

Ein gefundenes Fressen für den Neonazi Wieschke und seine Freunde. Bundesweit wurde die Werbetrommel gerührt. Auch die Ängste seiner Zielgruppe wurden geschickt bedient: In einem Bild, welches Wieschke in den sozialen Medien verbreitete, wurde gewarnt, „Es könnte auch deine Tochter sein!“. Das Ziel sonnenklar, mit Hilfe der berechtigten Empörung über die furchtbare Tat Stimmung machen gegen Geflüchtete, Ausländer und alle vermeintlich Fremden. Ganz im Sinne: Vergewaltiger? Das sind nur die Anderen, sind die erst mal weg, sind unsere Frauen sicher, so sein Heilversprechen. Gleichzeitig sind genau solche empörten Demonstrationen über aktuelle Verbrechen die vermeintlich perfekte Gelegenheit, in breitere Bevölkerungsschichten zu wirken.

Die ansässige antifaschistische Szene stand im Vorfeld der Demonstration vor einem Dilemma. Ein Gegenprotest gegen eine Demonstration, die vorgibt, für die Rechte von Frauen einzutreten, und sich gegen sexuelle Gewalt stellt? Undenkbar! Auch wenn die Argumentation nur vorgeschoben ist. Also reagierten die Antifaschist*innen vor Ort anders. Zur eigenen Kundgebung wurde kurzfristig geladen. Unter dem Motto „Stoppt das Patriarchat – sexuelle Gewalt hat keine Nationalität“ wollte die Gruppe „Antifaschistische Linke Eisenach“ einen eigenen Protest gegen die Tat und sexuelle Gewalt im Generellen auf die Beine stellen. Auch wolle man sich mit dem Opfer solidarisieren, wie ein Sprecher sagte. Die parallele Kundgebung sollte Menschen die Möglichkeit geben, die Tat zu kritisieren, aber eben nicht gemeinsam mit bundesweit bekannten Neonazis auf die Straße zu gehen.

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Der wenige Schatten bei den Bäumen in der Mitte des Marktes sollte für den Tag für niemanden zugänglich sein. Großräumig hatte die Polizei diesen Bereich mit Hamburger Gittern abgesperrt. Eine Pufferzone, falls doch eine brenzlige Situation entstehen sollte. Die Feministische Parallelkundgebung begann eine halbe Stunde vor der rechten Veranstaltung. Verschiedene Redner*innen thematisierten die Tat vom Montag und deren Einordnung. Es gäbe eine „lang anhaltende Kontinuität sexueller Gewalt“ in der deutschen Gesellschaft. Jede siebte Frau sei in Deutschland schon vergewaltigt worden oder Opfer anderer sexueller Gewalt. Diese Zahl ist korrekt und Ergebnis einer Studie der Bundesregierung. Auch gaben über 40% der befragten Frauen an, seit ihrem 16. Lebensjahr bereits sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Die Befragung stammt aus dem Jahr 2003 und ist repräsentativ mit einer Teilnehmerinnenzahl von über 10.000. Eine Sprecherin des Eisenacher Bündnisses gegen Rechts bezeichnete Gewalt gegen Frauen als „traurigen Alltag in unserer Gesellschaft“. Seit Jahrhunderten. Die meisten Fälle „entstammen aber aus dem persönlichen Umfeld“. Auch diese Angabe ist korrekt: 50,2% der Opfer sexueller Gewalt geben ihre Partner als Täter an, nur 14,5% eine unbekannte Person.

Auch arbeiteten sich die Redner*innen an der Vergangenheit von Wieschke ab. Im Jahr 2001 ermittelte die Polizei gegen Wieschke wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Kindern, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Opfer: eine 12-jährige Schülerin. Diese sagte gegenüber der Polizei aus, Patrick Wieschke habe sie mit einem Messer bedroht und verletzt. Auch habe er gegen ihren Willen ihre Brüste betatscht. Er habe sie eine ganze Nacht in seiner Wohnung eingesperrt. Weitere Taten konnten wohl nur verhindert werden, da sich die Schülerin in einem Zimmer der Wohnung verbarrikadierte. Dies gelang nur durch eine Rangelei mit Wieschke, bei der sich das Mädchen verletzt habe. In der Nacht habe der Neonazi mehrfach gedroht, sie umzubringen. Wieschke selbst bestreitet die Vorwürfe. Der Fall landete nie vor Gericht, da Wieschke in einem anderen Verfahren eine höhere Strafe drohte. In diesem Verfahren wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen der Anstiftung zu einem Sprengstoffanschlag auf einen Döner-Imbiss verurteilt.

Wieschke versuchte, seinen Auftritt staatsmännisch zu gestalten. Auf einen Hänger hatte er sich ein hölzernes Rednerpult gestellt, von welchem er wie von einer Kanzel zu seiner Demonstration sprach. Er sollte auch der einzige Redner bleiben.

Er behauptete, selbst mit dem Opfer gesprochen zu haben und forderte eine klare Antwort der Anwesenden, „die Antwort der Deutschen“. Es folgte verhaltener Applaus. In Anbetracht der strafrechtlichen Vorgeschichte Wieschkes kann man sich seine „deutsche Antwort“ ausmalen. Er forderte, die Täter nicht zu bestrafen, sondern nach Afghanistan abzuschieben, was ein Gejohle der Anwesenden hervorrief. Die Einwanderung bezeichnete er als „Waffe“ einer nicht näher benannten Machtstruktur. Auch zeigte sein Beitrag ein Weltbild, das dem „Ethnopluralismus“ verpflichtet ist.

Der sogenannte Ethnopluralismus ist ein Konzept der neuen Rechten, dessen Vertreter*innen eine herkunftsabhängige Trennung gesellschaftlicher Gruppen propagieren, die – auch wenn dies meist nicht eingestanden wird – nur unter Einsatz genozidaler Gewalt erreicht werden könnte. Dabei wird der Begriff „Rasse“ zwar vermieden, aber nur durch andere Wörter wie „Ethnie“ oder gänzlich kulturelle Begriffe ersetzt. Der Politologe Kurt Lenk schreibt in diesem Zusammenhang von einem „modernisierten Rassismus“. Ansonsten folgten in Wieschkes Rede die üblichen rechtsextremen Schlagwörter: „Austausch“, „Überfremdung“, „Islamisierung“, „Deutschland schafft sich ab“, „Volkstod“ etc.

In einem besonders skurrilen Abschnitt berichtete Wieschke von einer „Islamisierung“ des Schulessens. Darauf folgend führte er aus, die Veranstaltung sei nicht rassistisch, um nur zwei Sätze weiter zu fordern, wieder „N****“ oder „Treue und Ehre“ (Anspielung auf „Meine Ehre heißt Treue“, dem Wahlspruch der SS) sagen zu dürfen.

Auch einige Anhänger schienen derweil etwas die Contenance verloren zu haben. Ein Mann mit einem großen Pappschild versuchte ständig ein Fernsehteam des MDR beim Filmen des Redebeitrages zu stören, was ihm auch gelang. Warum er seinen Volkstribun nicht im Fernsehen sehen wollte, blieb ungewiss. Das Publikum der rechten Kundgebung bestand zu einem signifikanten Anteil aus Personen der neuen Rechten. Entsprechende Tattoos und Kleidung zeigten die politische Gesinnung. Auch die zahlreichen schwarzen Sonnen zeugten von der Überzeugung ihrer Träger.

Nach Wieschkes halbstündigem Monolog ging es direkt los zu einer kurzen Demonstration durch die Innenstadt. Mit „Frei, sozial und national!“ und „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ zeigten die Teilnehmer*innen direkt, dass es am heutigen Tag nie um Frauen oder eine Vergewaltigung ging. Einige gestikulierten und posierten unter verbalen Ausbrüchen in Richtung der feministischen Kundgebung. Diese antworteten mit lauten „Alerta, Alerta, Antifascista!“. Auch die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss wurde mehrfach aus dem Demonstrationszug heraus beschimpft.

Eine klassische Wieschke-Performance mit oder ohne Logo der NPD. Eben eine ganz normale Neonazidemo mit ein paar Menschen im Anhang, die vielleicht wirklich aus Empörung teilgenommen hatten. Bezeichnenderweise hatte die Demonstration nach ihrer kurzen Runde durch die Stadt auch einen nennenswerten Teil der bürgerlich gekleideten Teilnehmenden verloren.

Die Polizei Thüringen war sehr erfolgreich mit ihrem Trennungskonzept beider Gruppen. Lediglich bei der Abreise gab es einige Dynamik. Größere und kleinere Gruppen sportlicher Neonazis bewegten sich durch die Innenstadt. Die Polizist*innen waren aber bemüht, alle Gruppen zu begleiten. Eine größere Gruppe machte sich auf den Weg und wurde kurzzeitig von Beamt*innen eingekesselt. Die Polizei schätzt die Teilnehmerzahlen auf 200 Personen bei Wieschke und 120 Personen auf der feministischen Kundgebung.

Martin Michel

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