Freitag, April 19

Privateigentum als Forschungsgegenstand: Ein Gespräch mit Marlen van den Ecker

Marlen van den Ecker promoviert in Soziologie unter dem neuen Sonderforschungsbereich "Strukturwandel des Eigentums". Bild: Sarah Lutz

Im Juli wurde der neue Sonderforschungsbereich „Strukturwandel des Eigentums“ in Jena eröffnet, worin Sozialwissenschaftler*innen aus Jena, Erfurt, Berlin, Oldenburg und Darmstadt die „krisenanfällige und hochgradig umstrittene“ Institution des Privateigentums untersuchen werden, wie es auf deren Webseite heißt. Um einen Einblick in die Arbeit der Forscher*innen zu gewinnen, habe ich mich mit Marlen van den Ecker getroffen, die dieses Jahr ihr Dissertationsprojekt zu geistigem Eigentum begonnen hat. Ein Gespräch über Wissenschaft, die jede*n etwas angeht.

Als Ende letzten Jahres die Mitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft eintrudelte, dass sie das neue überregionale Forschungsvorhaben „Strukturwandel des Eigentums“ finanziell fördern werde, überschrieb die Friedrich-Schiller-Universität ihre Pressemeldung mit dem Titel „Wem gehört der Wind?“. Diese beinahe poetisch anmutende Frage erscheint auf den ersten Eindruck wie ein sinnsuchender Ruf aus dem Elfenbeinturm; dabei hat sie es in sich.

Die Einhegung und Einverleibung von Gemeingut in die globale Wertschöpfung und Profitmaximierung, die den Kapitalismus seit seiner Geburt kennzeichnet, hat nicht immer die gleichen Ressourcen zum Ziel gehabt, noch nimmt sie immer den gleichen Ausgang. Auch heute befinden sich solche „Landnahmen“, wie der Jenaer Soziologe Klaus Dörre diese stetige Einverleibung in den Kapitalfluss beschreibt, in einem Wandlungsprozess. Wem gehören zum Beispiel die Ressourcen, die im 21. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung gewinnen – wem gehört der Wind, aus dem Energie gewonnen wird? Wem sequenzierte Gene? Wem Software und die Daten, die sie generiert? Dass solche Eigentumstitel mit Macht verbunden sind, versteht sich von selbst. Die Ausgangsbeobachtung der Sozialwissenschaftler*innen am Sonderforschungsbereich (SFB) 294 ist, dass die Konflikte um Eigentum für unsere gesellschaftliche Zukunft zentral sein werden – ob es sich um privatisierte Städte handelt oder um die Luft, die wir atmen. Die Teilbereiche drehen sich jeweils um die Geschichte, aktuellen Entwicklungen und Alternativen im Bereich des Privateigentums. Die darunter angesiedelten Projekte stammen aus verschiedenen Disziplinen, von Philosophie über Geschichtswissenschaft zu Politologie und Soziologie.

Marlen van den Ecker ist eine der Forscher*innen. Bei dem Soziologieprofessor Tilman Reitz arbeitet sie seit Mai an einem Dissertationsprojekt, in dem sie „eine Soziologie geistigen Eigentums“ entwerfen möchte. „Ist das nicht ein Jura-Thema?“ – diese Frage bekomme die studierte Kommunikationswissenschaftlerin, Ökonomin und Philosophin häufig zu hören. Ja und nein. Juristische Kodifikationen von Eigentum und Besitz spielen selbstverständlich eine wichtige Rolle, erklärt sie. Doch die Perspektive der Soziologie, derer sich Marlen bedient, verlangt, den Blick zu weiten – auf Eigentumsideologie etwa, oder mithilfe welcher Mechanismen Menschen von der Nutzung eines Guts ausgeschlossen werden.

Was bedeutet „kritisch forschen“?

Die Soziologie in Jena hat sich mit diesem kritischen, interdisziplinären Anspruch schon lange einen Namen gemacht. Deshalb ist Marlen nach dem Bachelor in Mannheim für den Master in Gesellschaftstheorie hierhergekommen. Auch die Vernetzung von Wissenschaft und Aktivismus am Institut habe sie gereizt. „Der kritische Anspruch ist mir mehr oder weniger in die Wiege gelegt worden,“ sagt sie, „dadurch, dass ich prekär aufgewachsen bin.“ Die „Erfahrung von Ungleichheit und Repression“, die sie mit ihrer alleinerziehenden, Hartz-IV-beziehenden Mutter im Umgang mit dem Jobcenter machen musste, habe sie sehr geprägt. In Mannheim an der Uni waren kritische Stimmen rar, aber beim Forschungsnetzwerk „Kritische Kommunikationswissenschaft“ fand sie Gleichgesinnte. Die Frankfurter Schule der Kritischen Theorie um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno hatte sie schon länger begleitet, ihre Auseinandersetzung mit diesen Klassikern konnte sie dort aber noch vertiefen:

Ich hatte das Gefühl, dass ich mich in diesen Texten aufgehoben fühle, also dass sie mir etwas anbieten, um mir zu erklären, warum ich und meine Mutter in meiner Jugend leiden mussten; oder warum wir Werbung ausgesetzt sind überall, und du sollst immer kaufen, kaufen, kaufen.

Eine einschneidende Beobachtung war, dass es ausgerechnet die Leidtragenden der ausbeuterischen Verhältnisse sind, die sich am wenigsten mit den Wurzeln ihrer Unterdrückung auseinandersetzen – nicht nur, weil die Zeit dafür fehlt. Wer verliert, wer profitiert? „Welche ideologischen Prozesse müssen ablaufen, damit sich die Leute solche Fragen nicht stellen – das ist das Projekt der Ideologiekritik der Frankfurter Schule,“ sagt Marlen.

Ist das Marx oder kann das weg?

Es geht hier also um den ideologischen Rahmen, in den die herrschende Ordnung eingebettet ist, und die Folgen, die sich aus einem solchen Arrangement ergeben. Ein Forschungsauftrag, der auf einen der Gründungsväter der Soziologie, Karl Marx, zurückgeht. Der hatte das Eigentum an Produktionsmitteln in den Mittelpunkt seiner Analyse des Kapitalismus gestellt und befand: Das Eigentum wandelt sich und verwandelt damit die Gesellschaft – ein Strukturwandel im doppelten Sinne. Die beiden befinden sich bis heute in einem engen Wechselspiel, das jeder streng juristischen Auseinandersetzung mit dem Thema entginge. Auch in der Soziologie ist diese kritische Ausrichtung aber eher die Ausnahme als die Regel. So diagnostizierte die Jenaer Soziologin Silke van Dyk in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Soziopolis „eine tendenzielle ‚Eigentumsvergessenheit'“ in der zeitgenössischen Sozialwissenschaft.

Marlen stimmt dieser Einschätzung zu. Auch dass es sich beim Festbeißen an Privateigentum um einen ideologischen Vorgang handelt, werde von „einem Gros der Wissenschaft“ gar nicht erst konstatiert. Diese Vergessenheit geht womöglich auf einen gesamtgesellschaftlichen Umschwung zurück, der Klassenverhältnisse immer mehr in den Hintergrund treten ließ. Wir durchleben heute eine Zeit des „Das ist halt so“, die sich nicht dafür interessiert, wie das Bestehende entstanden ist. Marlen verortet das Problem wiederum im wissenschaftlichen Betrieb, der zu wenig Zeit für eingehende Analysen übriglasse, die an die Wurzel eines sozialen Problems vordringen. Zwischen Lehre, Konferenzen und allem Drumherum blieben in einem für zwei Jahre befristeten Forschungsprojekt so häufig nur wenige Monate für die eigentliche Arbeit an der Sache. Der SFB könne für den daraus erwachsenden Mangel an Grundlagenforschung vielleicht kompensieren, hofft sie.

Grundlagenforschung, aber am Puls der Zeit. Dafür brauche es den Austausch mit Aktivist*innen. Dass Eigentumsverhältnisse in Deutschland wieder problematisiert werden, verdanke die Wissenschaft nicht zuletzt politischen Bewegungen wie der Berliner Mieter*innenkampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.

Wem gehört das Internet?

In der geläufigen Kritik an Social Media und Datenüberwachung kommt die Eigentumsfrage wiederum selten vor; eher wird hier moralisiert. Aber Marlen besteht auf den Einfluss, den die Eigentumsordnung und der damit verbundene Verwertungszwang auch hier auf die Menschen ausüben. Zum Beispiel würden Algorithmen, die personalisierte Feeds herstellen, dafür eingesetzt, anstelle eines konkreten Eigentumstitels die Mechanismen des Privateigentums zu ersetzen. Auch eine Nutzerin, die für einen Streamingdienst wie YouTube zwar nichts bezahlt, sich aber ständig Werbung ansehen muss, unterliegt einem anderen, aber funktional ähnlichen Tauschverhältnis wie ein zahlender Kunde. Exklusiver Gebrauch, Markenbindung – das sind Funktionen, die geistiges Eigentum erfüllt, die aber im digitalen Raum von anderen technischen Tricks ergänzt werden. Diese Alternativen haben dem Anschein nach zunächst wenig mit Eigentum zu tun.

Marlen plädiert für Open-Source-Lösungen, die so inklusiv wie möglich sein sollen, beobachtet aber eine gegenläufige Tendenz. Eine „neue Landnahme“ habe sich mit der Privatisierung und Monopolisierung von Online-Räumen seit den 1990er Jahren abgezeichnet, und die sei noch in vollem Gange.

Es gibt Bereiche, in denen du selbst als Internet-Pirat*in nicht mehr ansetzen kannst, wo du nichts verändern kannst. Wenn es diese großen Plattformen gibt, die jeder nutzt, kannst du meinetwegen auf Torrent deine Sachen sharen, und wirst dadurch trotzdem nicht erwirken, dass andere das auch machen. Weil zum Beispiel andere Sachen bequemer sind; weil es für die meisten Leute bequemer ist, Spotify zu nutzen.

Wem gehört das Wissen?

Auf meine Frage hin, ob denn der Wissenschaftsbetrieb selbst ein Ausweis der Tatsache ist, dass experimentelle Eigentumsformen bislang wenig gefruchtet haben, sagt Marlen, die Situation in der Wissenschaft sei tatsächlich „noch absurder“. Die Absurdität sieht sie vor allem in der Nutznießerrolle, die große Verlage gegenüber öffentlich finanzierter Forschung einnehmen. Wissenschaftler*innen produzieren dank öffentlicher Gelder Wissen, das durch Verlage „monopolisiert“ werde, die es abdrucken oder die Open-Access-Rechte daran weiterverkaufen. Abnehmer für solche Rechte auf offenen Zugang sind wiederum steuerlich finanzierte Bibliotheken, die den großen Verlagen damit Geld in die Kassen spülen. „Das könnte sich ja der beste Kapitalist nicht so ausdenken, dass du quasi für umme Sachen bekommst, und dann kannst du sie noch verkaufen.“ Ausschließlich mit Verlagen zu arbeiten, die Open-Access-Publikationen auf ihren eigenen Servern zur Verfügung stellen, sei aber auch schwierig, fährt Marlen fort, weil besonders kleine Verlage auf die zusätzlichen Einnahmen angewiesen sind: „Die kleinen Häuser werden so richtig platt gemacht.“

Das digitale Zeitalter macht es technisch möglich, Medien endlos zu kopieren und Wissen zu demokratisieren, doch die kapitalistische Eigentumsordnung, die ihr Geschäft mit der privaten Aneignung und dem selektiven Ausschluss macht, hat keinen Platz für derlei Utopien. Während der Sozialphilosoph André Gorz in den Nuller Jahren mit dem Siegeszug des Internets noch ein „Zeitalter der Unentgeltlichkeit“ auf uns zukommen sah, gibt die seither stattgefundene Kapitalkonzentration Menschen wie Marlen Anlass dazu, ernüchterter auf die aktuelle Lage zu blicken: mehr Propertisierung, also Umwandlung in Eigentum, mehr Monopolisierung durch Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft. Über die immer noch weit verbreitete Wertvorstellung, dass das Internet ein Ort frei zugänglicher Inhalte sein sollte, können sich die Wissensverwerter*innen hinwegsetzen. Zumindest bis hier, unter uns User*innen, ein anderer Wind weht.

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