Freitag, April 19

Die Hans-Berger-Straße wird nicht umbenannt

Der Mediziner und Rassenhygieniker Hans Berger (1873-1941) hinterlässt ein wissenschaftlich beachtliches und moralisch verächtliches Erbe. Bild: Wikimedia

Jena. Der Kulturausschuss der Stadt Jena tagte am Dienstag und beriet über einen Antrag von Martin Michel (Die Guten) von letztem Jahr, der vorsah, die nach dem Neurologen und ehemaligen Rektor der Uni Jena Hans Berger benannte Straße in Lobeda umzubenennen. Begründet wurde der Antrag mit der dokumentierten Verstrickung des Wissenschaftlers in die Zwangssterilisationen des NS-Regimes. Der Ausschuss lehnte die Umbenennung mit sieben gegen eine Stimme (mit einer Enthaltung) ab, entschied sich aber gleichzeitig für den im Antrag vorgesehenen Plan, eine dauerhafte Informationstafel aufzustellen, die die im Aushandlungsprozess gewonnenen kritischen Einsichten reflektiert.

In die Beratung über die Causa Berger waren Expert*innen wie der Stadthistoriker Rüdiger Stutz und Verantwortliche des universitären Forschungsprojekts zur Geschichte der Psychiatrie im 20. Jahrhundert involviert. Norbert Frei, weltweit geachteter Historiker zur NS-Diktatur und Leiter dieses Projekts, wurde mit den Worten zitiert, eine Beibehaltung des Namens käme einer „erneuten Solidaritätsbekundung“ mit Berger gleich. „Wissenschaftliche Erkenntnisse wiegen keine Verbrechen auf,“ so das klare Urteil des Jenaer Professors.

Die Direktion des Uniklinikums (UKJ) wiederum tut sich mit der Distanzierung von Bergers Wirken in Jena offenbar schwer, wie im Kulturausschuss zu hören war. Die dem UKJ unterstellte Klinik für Neurologie trägt ebenfalls den Namen und verschweigt die politische Ausrichtung des Rassenhygienikers auf ihrer Webseite.

Philipp Gliesing (Linke) stellte zu Beginn der Debatte am Dienstag heraus, wie kontrovers das Lebensbild Bergers sei, das sich aus den Einschätzungen der verschiedenen Expert*innen zusammenfügt. Mit Blick auf andere Städte, deren Straßen seinen Namen tragen, bemerkte Gliesing, Jena habe mit einer Umbenennung „die Chance, ein Zeichen zu setzen“; er erkannte die Reputation des Wissenschaftlers aber an. Berger hatte unter anderem mit der Entdeckung des Elektroenzephalogramms (EEG), das elektrische Aktivität im Gehirn misst, wesentliche Beiträge zur medizinischen Diagnostik geleistet und war Mitte des letzten Jahrhunderts dreimal für den Nobelpreis in Erwägung gewesen.

Gliesings Parteigenossin Beate Jonscher machte sich im Ausschuss ebenfalls für eine Umbenennung stark. Sie bezog sich dabei auch auf Bergers Befürwortung „rassenhygienischer“ Schwangerschaftsabbrüche. Bei seiner Rolle im Zwangssterilisationsprogramm gehe es aber nicht nur um Gesinnung, sondern um sein konkretes Handeln.

Berger zeichnete sich seinerzeit als Unterstützer des Nazi-Regimes durch die Bekleidung des Beirats zum Erbgesundheitsobergericht (EGOG) aus, das über Zwangssterilisationen beriet. Dort beteiligte er sich an der Anordnung von mindestens 25 Zwangssterilisationen „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das entsprechende Rassenhygienegesetz, für dessen Umsetzung die Nervenheilklinik Jenas mitverantwortlich war, ebnete den Weg zum Euthanasieprogramm der Nazis und dem Holocaust. Nach Renteneintritt und eigenhändiger Benennung eines Nazi-Nachfolgers für das Amt nahm Berger 1941 das Angebot des einflussreichen Jenaer NS-Rektors und „Rassenforschers“ Karl Astel zur Wiederaufnahme seiner Pflichten am EGOG dankend an, suizidierte sich aber bald daraufhin aufgrund einer Depression. Neben seiner aktiven Tätigkeit als Rassenhygieniker war Berger „förderndes Mitglied“ der SS, unterstützte diese also finanziell. Er war kein Mitglied der NSDAP. Die Behauptung älterer Biografien, Berger sei zumindest insgeheim oppositionell gesinnt gewesen, gilt als widerlegt.

Der Abgeordnete Eckhard Birckner (Bürger für Jena) befand die medizinischen Innovationen Bergers für wichtiger, „von denen wir heute noch profitieren“. Dem NS-Mediziner gebühre daher die Ehre einer nach ihm benannten Straße; man müsse mit den „Schattenseiten“ historisch wichtiger Persönlichkeiten nun einmal leben. Die Tatsache, dass Zwangssterilisationen international und bis nach dem Zweiten Weltkrieg praktiziert wurden, veranlasste Birckner dazu zu behaupten, Eugenik sei ohnehin zu Bergers Lebzeiten „Weltmeinung“ gewesen. Er bemerkte außerdem, dass Berger schließlich nicht die Durchführung, sondern lediglich die Anordnung von Zwangssterilisationen als „Schreibtischtäter“ zu verantworten habe.

Matias Mieth (B’90/Grüne) nahm ebenfalls Stellung und sprach von Berger in euphemistischem Ton. Dieser sei „politisch sicherlich konservativ, aber wissenschaftlich modern“ gewesen, bedauerlicherweise „in den Irrtümern seiner Zeit befangen“. Mieth gab zu bedenken, „dass auch unsere heutigen Wertmaßstäbe fragwürdig sein könnten“, ohne auszuführen, was er damit genau meinte.

Neben solcherlei Relativierungen kam auch das unter Konservativen in erinnerungspolitischen Fragen beliebte Dammbruchargument auf, als Stadträtin Rosa Maria Haschke (CDU) hinzufügte: „Wer ist denn der Nächste, den wir jetzt killen?“ Auch sie sprach verharmlosend von der „Widersprüchlichkeit“ von Bergers Biografie, „Irrtümer“ gebe es zu jeder Zeit. Deren Ächtung vonseiten Nachgeborener sei arrogant, so Haschke. Sie plädierte dafür, sich an der eigenen Nase zu fassen, und verwies auf einen Geburtenrückgang von Kindern mit Down-Syndrom in jüngster Vergangenheit, der freiwilligen Schwangerschaftsabbrüchen geschuldet sei.

Die Änderung des Antrags, welche die Umbenennung der Straße nicht mehr vorsieht, brachte daraufhin Ines Morgenstern (B’90/Grüne) ein. „Wir haben’s uns nicht leichtgemacht,“ meinte sie. Das solle die Informationstafel dokumentieren, deren Anbringung breite Akzeptanz im Kulturausschuss fand.

(pj)

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