Donnerstag, Mai 2

„Stacheldraht zu Altmetall!“ – Seebrücke mobilisiert gegen EU-Abschottungspolitik

Der Demozug der Seebrücke führte an der Ausländerbehörde am Löbdergraben vorbei ins Damenviertel bis ins Stadtzentrum zurück. Bild: Philipp Janke/Libertad Media

Jena. Am Freitagnachmittag des 19. November fanden sich ca. 200 Menschen zu einer Kundgebung unter dem Motto „Grünes Licht für Aufnahme!“ am Holzmarkt zusammen, um mit der Seebrücke gegen die EU-Abschottungspolitik zu demonstrieren und die Aufnahme Geflüchteter einzufordern, die über Belarus nach Polen in die EU gelangen wollen und an der Grenze in Wäldern ausharren. Auch die schlechte Unterbringung im Erstaufnahmezentrum in Suhl war Thema auf der Demo, die sich bald durch die Stadt Richtung Ausländerbehörde aufmachte.

In einer Rede der Seebrücke Jena hieß es, der Diskurs über „europäische Werte“ im Umgang mit der außenpolitischen Situation „verkennt, dass die bewaffnete polnische Grenze Ausdruck der gleichen rassistischen Abschottungspolitik wie die Lager an griechischen Grenzen und in afrikanischen Staaten ist.“ „Menschen lieber sterben zu lassen als ihnen ihr Menschenrecht auf Asyl zu gewähren ist schon lange Selbstverständlichkeit in der europäischen Migrationspolitik,“ erinnerte die Sprecherin der Solidaritätsorganisation. Nicht nur die politischen Entscheidungen auf EU- und Bundesebene standen in der Kritik, sondern auch die öffentliche Debatte um die Ansammlung Geflüchteter an der Grenze zu Polen. Von ihnen als „Spielbälle“ zu reden und ihre Präsenz als „hybriden Krieg“ des belarussischen Regimes darzustellen verschleiere die Fahrlässigkeit und imperialistische Exportpolitik der Entscheidungsträger*innen auf EU-Seite. Das Framing einer Erpressung und Kriegführung gegen die EU-Länder verdankt sich der Tatsache, dass der belarussische Staatschef Lukaschenko Schutzsuchende in sein Land lässt und Bilder von den Hungernden und Frierenden in der Grenzregion über Staatsmedien verbreitet, um eine politische Krise in der EU herbeizuführen. Die EU hatte wegen Lukaschenkos Niederschlagung der Opposition in seinem Land Sanktionen gegen den Staat verhängt.

Die Rednerin der Seebrücke richtete die Aufmerksamkeit der Anwesenden weg von der vermeintlichen Bedrohung durch Geflüchtete hin zu den Waffenexporten, mit denen sich EU-Staaten an Kriegen und den damit verbundenen Fluchtbewegungen mitschuldig machten. Auch die Aufrüstung der Grenzpolizei Frontex und das Aufstocken europäischer Militäretats weise den Weg in autoritäre Zustände, unter denen vor allem People of Colour zu leiden hätten. Die Rednerin konstatierte eine Diskursverschiebung, die daran festzumachen sei, wie in bürgerlichen Blättern AfD-Forderungen nach bewaffneter Grenzsicherung propagiert würden, die vor wenigen Jahren noch für öffentlichen Aufschrei gesorgt hatten. In der FAZ hatte man die Asylsuchenden, die zumeist aus dem Mittleren Osten stammen, in einer Schlagzeile vom 10. November als „Lukaschenkos Truppen“ verunglimpft.

„Herr Adams, es ist nicht alles unter Kontrolle!“

Ein 2015 geflüchteter Aktivist des Bündnisses Lagerwatch Thüringen skandalisierte auf der Kundgebung am Holzmarkt die Armut, in der die Bewohner*innen der Erstaufnahmestelle in Suhl gehalten werden. Das Zentrum ist vor Ort und landesweit immer wieder Thema in der öffentlichen Debatte um den richtigen Umgang mit Geflüchteten, weil es seit Jahren durch Konflikte unter Bewohner*innen und mit dem Sicherheitspersonal Schlagzeilen macht. Die Seebrücke und Lagerwatch fordern eine dezentrale Unterbringung, die den Geflüchteten erlaubt, in Deutschland unbefangener und frei von der Enge des Lagerlebens zu wohnen.

Der Redner von Lagerwatch sprach sich gegen Vorstöße von CDU-Politiker*innen aus, die Erstaufnahmestelle zu schließen, um die darin lebenden Menschen loszuwerden. Der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Suhl André Knapp hatte im Juni eine Petition zur Schließung beim Landtag eingereicht, die der Petitionsausschuss abwies. Die Beteuerung von Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne), die Asylanträge seien mit dem Lagersystem zu bewältigen, wies der Sprecher von Lagerwatch ebenso zurück. „Herr Adams, es ist nicht alles unter Kontrolle,“ sagte er mit Bezug auf „unzählige Beschwerden“ seitens der Bewohner*innen, die minderwertiges Essen, fehlende Privatsphäre und rassistische Ausschreitungen des Wachpersonals beklagen.

Vor der Ausländerbehörde am Löbdergraben, die die Demonstrierenden für mitschuldig an der staatlichen Gewalt gegen Flüchtende erklärten, kündigte eine Rednerin eine Sammelaktion für Winterkleidung an, die den Geflüchteten an der östlichen EU-Außengrenze zugutekommen soll. Wer Kleidungsspenden aufgeben möchte, solange die Schutzsuchenden mit weiteren Rückweisungen zu rechnen haben, könne sich an die Seebrücke Jena wenden. Die Pushbacks an der Grenze zu Belarus, wie sie im Mittelmeer im Bruch mit EU-Recht auch von Frontex und der griechischen Polizei durchgeführt werden, hatte die polnische Regierung im Oktober legalisiert.

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