Freitag, April 26

Querdenken-Aufmarsch: Polizei mit Hundestaffel gegen Antifa, setzt Presse fest

Am Anti-Querdenken-Bündnis „Jena Solidarisch“ beteiligen sich linke Basisgruppen, aber auch Parteien, Vereine und nicht politisch organisierte Privatpersonen. Bild: Philipp Janke/Libertad Media

Jena. Am vergangenen Montagabend fand der wöchentliche Aufmarsch von Querdenken statt. Die Querfront hat seit Gründung des stadtweiten Bündnisses „Jena Solidarisch“ vor anderthalb Wochen mit mehr Gegenwind zu rechnen, als den Teilnehmenden lieb ist: Drei Gegenkundgebungen am Holzmarkt, am Markt sowie in der Johannisstraße waren angemeldet. Hunderte waren um 17 Uhr erschienen, um den Impfgegner*innen den öffentlichen Raum streitig zu machen, den sie seit Monaten unter Missachtung von Hygienevorschriften einnehmen. Ziel des neuen Bündnisses ist es, Menschen aus der Zivilgesellschaft zu mobilisieren, die die Querdenken-Aufmärsche ablehnen.

Die Demos gegen die Coronaschutzmaßnahmen, zu denen viele in demonstrativer Friedfertigkeit mit Kerzen erscheinen, sind ein Amalgam verschiedener reaktionärer Kräfte. Friedensbewegte, Esoteriker*innen und bürgerliche Kleinfamilien stören sich nicht an der Präsenz militanter Neonazis und deren Übergriffen auf Presse und Antifaschist*innen. Die Verbreitung von Verschwörungsmythen und antisemitischem Gedankengut steht in den internen Chats an der Tagesordnung. Die Bewegung hat sich im deutschsprachigen Raum über den Zeitraum der Pandemie zum wohl fruchtbarsten Rekrutierungsfeld der völkischen Rechten entwickelt.

Versammlung gleich zu Beginn von der Polizei untersagt

Der Startschuss zur Demonstration erfolgte mit der Durchsage der Polizei, dass die am Rand des Holzmarkts versammelten Querdenker*innen eine illegale Versammlung darstellten, die sich aufzulösen habe. Dem Verbot, das von den Antifaschist*innen auf dem Platz bejubelt wurde, kamen die Versammelten erwartungsgemäß nicht nach. Die Polizei schnitt der Querfront zwar bald den Weg ab, machte aber trotz hoher Präsenz keine Anstalten, die Auflösung durchzusetzen. Auf der Johannisstraße stoppte dann eine Kette von etwa 30 Antifaschist*innen den Aufzug.

Gegen die angemeldete Kundgebung in der Johannisstraße fuhr die Polizei eine Hundestaffel auf, die wohl der Abschreckung dienen sollte. Sie stand nicht zwischen Querdenken und den anwesenden Autonomen, sondern war hinter den Antifaschist*innen unter lautem Bellen der Tiere positioniert. Dies erregte die Empörung der anwesenden Linke-Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss, die sich wenig später auf Twitter dazu öffentlich äußerte:

Vielleicht kann ja der Innenminister erklären, warum die Hundestaffel der #Polizei gegen eine angemeldete Versammlung der @jgstadtmitte (Bündnis @JenaSolidarisch) aufzieht, den Hunden die Maulkörbe abgenommen wurden und die #Querdenker weitgehend ungestört durch #Jena ziehen?

Die Impfgegner*innen auf der Johannisstraße schirmte eine weitere, nicht mit Hunden bewaffnete Polizeieinheit von den Gegendemonstrierenden ab, nachdem es zu vereinzelten Durchbruchsversuchen und verbalem Schlagabtausch gekommen war. In der Passage zwischen Markt und Stadtkirche kam es außerdem zu Personenkontrollen einzelner Querdenker*innen, die dort umstellt wurden. Nach Eigenaussagen Betroffener in den sozialen Medien wurden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Der Aufzug zerstreute sich allmählich, es waren kurz vor 19 Uhr nur noch vereinzelte Ansammlungen von Kerzentragenden in der Innenstadt zu sehen.

Klinikdirektoren des UKJ solidarisch mit Gegenprotest

Die unübersichtliche Lage in der Innenstadt verdankte sich nicht nur den halbherzigen bis unbeholfenen Versuchen der Polizei, den Marsch zu beenden, sondern auch den Hunderten Antifaschist*innen aus der Zivilgesellschaft, die ihn nicht tolerieren wollten. Auf dem Markt sprachen unter anderem der Grünen-Stadtrat Heiko Knopf und die Linke-Landtagsabgeordnete Lena Saniye Güngör, deren Partei-Ortsverbände zu den offiziellen Unterstützerinnen von Jena Solidarisch zählen. Güngör hielt den gemäßigten Impfgegner*innen vor, sich für ihre politischen Zwecke mit Faschistinnen und Antisemiten zusammenzurotten.

Zwei auf Demonstrationen wohl eher selten gesehene Gäste dürften die Leiter des Uniklinikums gewesen sein, die ebenfalls Reden hielten. Ekkehard Schleußner, Direktor der Geburtsmedizin, und Andreas Stallmach, Direktor der inneren Medizin, drückten ihre Solidarität mit dem Gegenprotest aus und machten Werbung für den Impfschutz. In der inneren Medizin des UKJ befindet sich auch die Post-Covid-Ambulanz, die seit August 2020 über 700 Patient*innen behandelt hat und Forschung zum Thema betreibt.

Klinikdirektor Stallmach sprach über drei Frauen auf der Intensivstation, die sich während der Schwangerschaft mit SARS-CoV-2 infizierten und deren Lungen nach der Entbindung versagten. In aller Regel schütze die Impfung vor der Intensivstation, erinnerte er die Anwesenden, auch wenn sie gegen die Infektion nicht helfe. Hätte er wissenschaftlich begründete Zweifel an der Wirksamkeit oder Sicherheit der Impfstoffe gehabt, hätte er seine Familie nicht impfen lassen, so der Arzt. Er fand auch klare Worte zu der politischen Bewegung, die den Gegenprotest motiviert hatte:

Wenn Menschen, die kritisch sind, ihrem Protest Ausdruck verleihen wollen, ist das ihr gutes Recht. Aber wenn sie mit Nazis spazieren gehen, haben sie’s nicht kapiert. Das ist abzulehnen, das ist nicht die Form der Auseinandersetzung, die wir uns wünschen.

Erneuter Aufmarsch in Lobeda

In den Chats der Querdenker*innen häuften sich derweil die Hinweise, dass für 19 Uhr ein weiterer Aufmarsch im Ortsteil Lobeda stattfinden sollte, wo man sich mehr Freiraum erwarten konnte. Vor dem Uniklinikum formierte sich bald ein unangemeldeter Demonstrationszug Richtung Westen und traf dort nur auf vereinzelte Polizeistreifen, die sich nicht einmischten.

Beim Begleiten der Demonstration wurde unser Presseteam wiederholt beschimpft, von Einzelpersonen bedrängt und mit Gewalt bedroht. Auch eine Gruppe Antifaschist*innen war lauten Anfeindungen ausgesetzt. Keine Polizei war zu sehen, um einzuschreiten, obwohl ein Beamter später behauptete, eine Konfliktsituation sei von der Polizei beobachtet worden, in der das Presseteam bedrängt und aus nächster Nähe abgefilmt wurde. Nach mehreren forcierten Umleitungen gelang es der Polizei im Wohngebiet an der Straßenecke Stauffenbergstraße/Fritz-Ritter-Straße letztlich, die Demo aufzuhalten, indem sie einen Kessel bildete. Sie erlaubte den festgehaltenen Querdenker*innen, ohne Personenkontrollen einzeln die Versammlung zu verlassen.

Polizei packt an – beim Presseteam und der Antifa

An der Ecke zur Fritz-Ritter-Straße erfasste die Polizei eine Antifaschistin in einer Maßnahme, weil diese einem soeben erteilten Platzverweis nicht Folge geleistet hätte. Sie wurde gezwungen, ihre Personalien aufzugeben. Zeug*innen, die mit der Person unterwegs waren, bestreiten, dass ein formeller Platzverweis ausgesprochen wurde. Der Beamte habe zuvor nur darum gebeten gehabt, wegzugehen.

Kurz darauf hielt die Polizei eine weitere Person fest, die als Personenschutz unseres Teams und damit als Pressebegleitung ausgewiesen war. Der Vorwurf: Sachbeschädigung. Bei einer Konfrontation mit dem Querdenken-Aufzug sei ein Handy zu Bruch gegangen, das ein Demonstrierender auf das Presseteam gerichtet haben soll. Ein Staatsdiener der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit machte den Gegenprotest dafür verantwortlich, dass mit der Querfront nicht konsequenter umgegangen werde: Der reize die Kapazitäten der Polizei aus. Ein weiterer Beamter versuchte, die Pressearbeit bei der Beobachtung der Maßnahme zu behindern.

2 Comments

  • Grosser, Klaus

    Ein übergriffiger Volksgesundheitspopulismus, der Andersdenkende kriminalisiert wird scheitern.
    Mal zur Erinnerung:
    Der Radikalenerlass 1972 hatte die Gesellschaft nachhaltig gespaltet. Solch strukturelle Gewalt von oben blieb bekanntlich nicht ohne unappetitliche Antwort der Gegenseite (RAF, RZ, Bewegung 2. Juni). Es war der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, der 1985 als erster Regierungschef den Unsinn in seinem Bundesland abschaffte.

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