In Jena fand heute eine linke Spontandemonstration statt. Unter dem Motto des „antiautoritären und antifaschistischen Martinsumzug“ folgten 40 bis 60 Menschen einem entsprechenden Aufruf. Der Protest richtete sich vor allen gegen Gentrifizierung. Gentrifizierung bedeutet die Aufwertung eines Stadtteiles oder entsprechende politische Entscheidungen, die arme Menschen vertreiben, weil sie sich den Verbleib nicht mehr leisten können. Die Aufrufenden wollten sich nicht länger „einengen lassen“ und kündigten an zurückzuschlagen. Man wolle „die Jenaer Innenstadt nehmen“ und seine Wut auf die Straße tragen, schrieben die Autor*innen.
Lasst die Stadtpolitik und private Immobilienspekulant*innen spüren, dass alltägliche Verdrängung nicht unwidersprochen bleibt. Beispiele in den letzten Jahren lassen sich zuhauf finden. Ob die Zerstörung von soziokulturellen und alternativen Orten, die nicht in ein perfektes neoliberales Stadtbild von OB Nitzsche passen oder die alltäglichen Repressionen, durch Polizei und Ordnungskräfte gegenüber Jugendlichen und alternativ scheinenden Menschen in Innenstadt und Paradies, welche nur einen Grund kennen; Verdrängung! Anstatt auf die Jenaer Zivilgesellschaft und ihren Forderungen nach mehr Selbstverwaltung, Freiräumen oder einem alternativen Jugendzentrum zuzugehen, kuschelt die Stadtverwaltung mit jenen, die eh schon eine privilegierte Position einnehmen, mit großen privaten Firmen oder der Universität. Ein Großbauprojekt nach dem anderen wird umgesetzt und die Stadt mit Beton gefüllt.
Auszug aus dem Aufruf zum „antiautoritären und antifaschistischen Martinsumzug“
Kritisch sehen die Aufrufenden die zunehmenden Rufe nach einem autoritäreren Staat. Man müsse lauter werden und sich „Gehör verschaffen“. Die Demonstration wurde auch in einen Kontext mit der Coronakrise gestellt: „Wir leben heute in einer weltweiten Pandemie, dies erfordert einen solidarischen Umgang miteinander, darf jedoch nicht genutzt werden, um marginalisierte Stimmen in der Gesellschaft weiter zu unterdrücken“. Auch wollte man darauf aufmerksam machen, dass „ökonomisch schwächer gestellte, Obdachlose und andere marginalisierte Gruppen“ erheblich mehr unter den Einschränkungen leiden als andere.
Die Spontandemonstration startete kurz nach 20 Uhr am Eichplatz und war so militant, wie es der Aufruf erwarten ließ. Von der ersten Sekunde wurde Pyrotechnik gezündet, es flogen Böller. Nach nicht einmal 30 Metern Strecke wurde die Oberbank gegenüber der Stadtkirche angegriffen. Es flogen Pflastersteine und die Parole „Freiheit für Lina“ wurde auf die Scheibe der Bank gesprüht. Die 25 Jahre alte Studentin war am vergangenen Donnerstag in Leipzig vom LKA Sachsen festgenommen worden. Der Vorwurf der Bundesanwaltschaft: Mitglied in einer „linksextremistischen“ Vereinigung. Seit der Festnahme gibt es Solidaritätsbekundungen in der linken Szene. An der Kreuzung Saalstraße/Schlossgasse tauchten zwei erste Wagen der Polizei hinter der Demonstration auf. Ein Teil der Demonstration zerstreute sich, ein Teil griff die Fahrzeuge der Polizei mit Steinen und Pyrotechnik an. Auch diese Gruppe zerstreute sich schnell, als aus allen Richtungen weitere Polizei anrückte. Im Bereich der Saalstraße wurde nach Angaben der OTZ “ über dem anatolischen Spezialitäten-Restaurant „Köz“ die Fensterscheibe einer Wohnung zerstört“, die OTZ vermutet allerdings, dass ein Polizeiwagen vor dem Haus Ziel der Attacke war. Danach verliert sich die Spur der Demonstrant*innen. Nach der Demonstration wurden an verschiedenen Orten im Stadtgebiet Mülltonnen in Brand gesteckt und als Barrikaden auf die Straße gebracht, wie die Polizei gegenüber Libertad Media bestätigte. Nach aktuellen Stand gab es entsprechende Brennende Barrikaden an vier verschiedenen Standorten. Ein Polizeiauto wurde von Steinen getroffen und beschädigt. Es waren 49 Beamt*innen der Thüringer Polizei im Einsatz. Zwei Personen erhielten einen Platzverweis. Verletzte gab es nicht. Die Polizei bezeichnete die Versammlung als „unfriedlich“ und will „unter anderem die Hintergründe, die gewaltbereiten Teilnehmer sowie den unfriedlichen Verlauf aufzuhellen und zu ermitteln.“
Die Stadt Jena verurteilte die Gewalt auf der Demonstration: „Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Auch in der Corona-Pandemie dürfen Versammlungen bewusst stattfinden, um dieses Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht einzuschränken. Aber wir haben null Verständnis, wenn dieses hohe Gut durch Gewalteinsatz und Sachbeschädigungen missbraucht wird. “ sagte Benjamin Koppe, Dezernent für Sicherheit und Finanzen der Stadtverwaltung (CDU). „Solche Bilder von gestern Abend, die wir auch aus anderen Städten bereits kennen, wollen wir in Jena nicht sehen“, so Koppe weiter.
Update: 12.11.2020 01:47 Uhr: Die Jenaer Nachrichten melden noch brennende Mülltonnen und eine Mehrzahl an zerstörten Wohnungsfenstern. Wir werden morgen entsprechende Anfragen stellen und hier ergänzen.
Update 12.11.2020 13:49 Uhr: Die Angaben zu Schäden wurden nach neuen Angaben der Polizei korrigiert. Steine flogen nicht in eine Restaurantscheibe und es gab brennende Barrikaden an verschiedenen Orte.
(mm)
[…] Militante Spontandemo in Jena (libertad-media.de) – Wir verurteilen den Jenaer Mietenwahnsinn […]